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Gesellschaft

Klimagefühle – Wut zum Handeln

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Die Klimakatastrophe hängt über unseren Köpfen wie ein Damoklesschwert und drückt uns auf das Gemüt. Die Psychologie lehrt uns, dass wir am besten mit diesen Emotionen umgehen können, wenn wir es schaffen, sie in gemeinschaftliches Handeln zu lenken.

von Isabel Page

Angst vor dem Klimawandel ist kein Nischenphänomen
In Kanada stehen die Wälder in Flammen, in Deutschland ist ihr Zustand laut dem BUND so schlecht wie noch nie und in Rheinland-Pfalz hat uns das desaströse Hochwasser im Ahrtal daran erinnert: Die Klimakatastrophe ist da. Nicht nur die Natur ist davon betroffen, auch unsere Psyche. Immer häufiger erzählen Freund:innen, dass sie keine Kinder bekommen werden, da ein Leben mit den Folgen des Klimawandels unzumutbar sei. Ältere Menschen fürchten den stillen Killer Hitze und verlassen im Sommer ungern das Haus. Es breitet sich Angst aus, vor einer Zukunft geprägt von Extremwetterereignissen, Lebensmittelknappheiten, Massenmigration und Verteilungskriegen. Wer diese Angst fühlt, ist damit keineswegs alleine. In der bisher größten Studie zum Thema „Klimagefühle“ aus dem Jahr 2021 konstatiert das Team um die Psychotherapeutin und Klimapsychologin Caroline Hickman von der Universität Bath, dass 59 Prozent der aus zehn verschiedenen Ländern stammenden Jugendlichen sehr besorgt und sogar 84 Prozent mindestens moderat besorgt um den Klimawandel seien. Zur Angst gesellen sich außerdem Wut, Trauer und Schuldgefühle. Der Druck, das eigene Verhalten zu ändern, prasselt von überall auf uns ein: Energie sparen, nicht fliegen, kein Fleisch essen.

Die negativen Gefühle sind vernünftig
Nun werden manche Meinungsmacher:innen nicht müde zu wiederholen, dass die Angst übertrieben und nichts als aufmerksamkeitsheischende Panikmache sei. Aber ist das so? Die Psychologin Kathrin Macha von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die zum Klimawandel forscht, erklärt: „Die Angst ist eine angemessene Reaktion auf eine Krise riesigen Ausmaßes, die all unsere Lebensbereiche bedroht.“ Wenn das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens nicht eingehalten wird, werden Kipppunkte erreicht, deren Folgen irreversibel sind. Es ist nicht nur nicht hysterisch, sondern vernünftig auf derartige Informationen mit Angst zu reagieren. „Gefühle sind Bedürfnisanzeiger und Angst weist auf ein Bedürfnis nach Sicherheit hin“, erinnert Kathrin Macha. Dass dieses ins Wanken gerät, wenn der Weltklimarat uns mal wieder mitteilt, dass bei gleichbleibenden Anstrengungen der Staaten eine Erderwärmung von drei Grad droht, ist also natürlich.

Gemeinsam wütend sein ist effektiver
Greta Thunberg appelliert mit ihrem legendären Satz „I want you to panic“, den sie internationalen Verantwortungsträger:innen zurief, sogar gezielt zur Angst. Besonders beeindruckend ist bei Greta Thunberg jedoch die Wut, mit der jedes Wort aufgeladen ist. Genau diese Wut ist entscheidend, wenn es darum geht, nicht in Verzweiflung zu versinken, sondern aus Gefühlen Handlungsmotivation zu gewinnen. Damit wir nicht vor Angst erstarren, ist es Kathrin Macha zufolge essenziell, dass wir uns mit unseren Gefühlen nicht allein fühlen und klare Handlungsoptionen kennen. Jede:r hat sich wahrscheinlich schon mal beschwichtigend zugeflüstert, oder es von anderen gehört, dass es ja ohnehin verlorene Mühe sei, das Fahrrad zu nehmen, solange alle anderen Auto führen. Dieses Gefühl der Ohnmacht kann am besten in Gemeinschaften überwunden werden. Denn auch wenn die Wichtigkeit individueller Verhaltensänderungen im Kontext der Bekämpfung des Klimawandels nicht zu vernachlässigen sind, so bleibt es doch ein systemisches Problem, welches sowohl aus psychologischer als auch aus politischer Sicht, kollektiv und auf systemischer Ebene zu lösen ist. Die Einbindung in Gruppen steigert nicht nur die Effektivität des Handelns, sondern auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit, was einen wichtigen Coping-Mechanismus, also eine Umgangsstrategie mit Gefühlen wie Angst, darstellt.

Handeln, als wären wir verwundbar
Denn andere vermeintliche Bewältigungsstrategien wie kollektives Verdrängen und das Festhalten am vorherrschenden Unverwundbarkeitsglauben sind es doch, die uns diese Krise beschert haben. Genau deshalb erscheint es so wichtig, dass wir die Angst, die Trauer und die Wut zulassen. Damit wir verstehen, dass wir eben doch vulnerabel sind, und zwar alle. Weshalb wir auch alle davon profitieren, wenn wir unsere Angst und Wut übersetzen können in ein Handlungsmoment, gegen den Klimawandel und darüber hinaus auch für mehr Lebensqualität in der eigenen Stadt oder im eigenen Dorf.

Illustration: Nikolas Hönig

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