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Gesellschaft

Haare, Haare überall

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Körperhaare am weiblichen Körper werden permanent mit Bedeutung aufgeladen. Von der Unterdrückung und Selbstgeißelung zum feministischen Symbol der Befreiung.

von Princesha Salihi

Ich möchte mir die Beine nicht mehr rasieren. Am liebsten würde ich alles stehen lassen, aber ich bringe es nicht über mich. Seit ich ein 13-jähriges Mädchen war wünschte ich mir nichts sehnlicher als einen haarlosen Körper. Irgendwann begann ich mir für den Sommerurlaub kostengünstig die Achselhaare entfernen zu lassen. Von meiner Schwester. Mit einer Pinzette. Am Abend vor der Abfahrt lag ich also in meinem Bett, das Gesicht meiner Schwester wenige Zentimeter vor meiner Armfalte gebeugt. Präzise packte sie jedes Haar einzeln, spannte die Haut und riss es dann mit einer schnellen Bewegung heraus. Am nächsten Tag schmerzte es noch so sehr, dass ich die Arme im Auto kaum bewegen wollte. Von meinem Vater bekam ich kein Mitleid. Im Gegenteil: ich sah mich mit seinem entnervten Blick konfrontiert. Er ahnte schon, dass ich das nicht für mein persönliches Vergnügen tat. Heute verstehe ich besser, woher seine Reaktion rührte – Ich hatte begonnen meine Wirkung auf andere Geschlechter wahrzunehmen und meinen Körper dementsprechend verändern zu wollen.

Das Haarthema bleibt
Das mag durchaus normales pubertäres Gehabe sein. So wie unangenehm enge Jeans, düsterer schwarzer Kajal und pompöse goldene Kreolen. All das ist vergangen, doch das Haarthema bleibt. Das Interesse sich einer Außenwahrnehmung entsprechend zu verhalten, wird häufig mit dem Begriff des Male Gaze erklärt. Es ist die Annahme einer Standartperspektive, die männlich und heterosexuell ist. Das patriarchale Geschlechterverhältnis entlädt sich demnach im betrachtenden Mann und der betrachteten und schließlich objektifizierten Frau. Dieser männliche Blick wird durch Werbung, Filme und Social Media potenziert. Dabei liegen die Vorzüge von freiem Haarwuchs auf der Hand: schnellere Duschen, keine Hautirritationen und weniger Geld bei DM zurücklassen.

Früher war alles besser
Mit einer Freundin besuche ich eine Ausstellung von Henri Matisse. Sie freut sich darüber, dass die Frauenkörper in den Bildern nicht queer durch Photoshop gezogen sind. Jedes Röllchen und jedes Härchen ist an seiner Stelle. Der Trend zum haarlosen Körper ist noch gar nicht so alt. Mit immer knapperer Kleidung erwuchs die Sitte, jede freigelegte Körperstelle zu enthaaren. Leider sehe ich mich längst an dem Punkt der vollständigen Internalisierung. Ich finde es nicht schön, wenn meine Beine im Sommerkleid nicht haarlos sind. Doch gerade dieser Umstand macht mich unglücklich. Während ich die ausgestellten Werke betrachte, denke ich daran, dass ich mich nicht traue mit unrasierten Beinen ins Schwimmbad zu gehen. Erst kürzlich hatte ich entdeckt, dass das Hallenbad der Mattiaqua in Mainz-Kostheim eine Frauenbadezeit hat. Der Gedanke daran entzückte mich noch immer. Ich betrachtete die haarigen Achseln der Damen und träumte mich in ein Schwimmbad, das meinen Drang zum Rasierer nicht weiter füttert. Die Vorstellung fehlender Männer und fehlender potenzieller Männerblicke macht mir das Herz ganz leicht.

Haarige Statements
Als Frau ist man dem Male Gaze also unterworfen oder man erkämpft sich seine Freiheit entgegen der Schönheitsideale und Blicke. Sich derlei Normen zu entziehen ist immer schwer. Jetzt muss ich also diesen Kampf mit mir führen. Ich habe aber gar keine Lust darauf. Zumindest nicht bei etwas so banalem wie Körperhaaren. Im Sommer beobachte ich linke Politikstudentinnen wie sie ihre Mate mit unrasierten Beinen spazieren tragen. Es fühlt sich so an, als müsste ich mich der Antifa anschließen und mir den Kopf rasieren, um rausgewachsene Körperhaare – dann als politisches Statement – tragen zu können.

Neutrale Körper
Die Frauen in meinem Umfeld würden sich klar als feministisch bezeichnen. Trotzdem laufen wir am Weltfrauentag mit haarlosen Achseln zur Kundgebung. Da hilft auch kein Body Positivity- Trend, der suggeriert, dass alle Körper schön sind. Ich muss nicht alle Körper schön finden, um ein bisschen Haarwuchs zu ertragen. Nicht mal meinen eigenen. Wenn Körper einfach Körper und Haare einfach Haare sein dürften, könnten wir uns diese Erzählungen und symbolischen Aufladung endlich sparen.

Illustration: Leon Scheich

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