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Wiesbaden

Junger, ernster Mann im Regen

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Weltflucht und Moderne – Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900. Das Museum Wiesbaden feiert die Wiederentdeckung eines Meisters der Jahrhundertwende: Oskar Zwintscher – Künstler zwischen Symbolismus, Jugendstil und Neuer Sachlichkeit.

von Marc Peschke

Spaziert man in diesen Tagen durch Wiesbaden, so gerät unversehens immer wieder ein Mann ins Blickfeld, der so gar nicht in diese unwirtliche Atmosphäre passen will. Der junge Mann mit dem ernsten und feierlichen Blick: Er ziert die Litfaßsäulen, Plakate und Fahnen. Er hat uns Menschen des 21. Jahrhunderts sehr genau im Blick. Es ist Oskar Zwintscher, der uns in einem Selbstporträt so genau betrachtet: ein heute eher Unbekannter der Malerei um 1900, dem nach einer Station im Dresdener Albertinum nun das Museum Wiesbaden eine große Schau mit dem Titel „Weltflucht und Moderne“ widmet. „Er passt hierher“, betont Kurator Peter Forster. In die hessische Landeshauptstadt, die ehemalige „Weltkurstadt“, das „Nizza des Nordens“. In ein Museum, das sich vor allem seit der Schenkung der Sammlung Wolfgang Neess im Jahr 2019 immer wieder als Heimat bedeutender Art Nouveau-Kunst präsentiert hat – und dessen Bezüge zur Kunst Zwintschers zahlreich sind. Schon 1909 etwa hatte das Museum Zwintschers Porträt von Ferdinand Gregori erworben, dem Hofschauspieler am Wiener Burgtheater. Die große Zeit Wiesbadens war auch die große Zeit des 1870 in Leipzig geborenen und schon 1916 mit nur 46 Jahren in Dresden verstorbenen Künstlers Oskar Zwintscher.

Der sächsische Klimt
1910 bekam er bei der Biennale in Venedig einen eigenen Raum, direkt neben Klimt. Zwintscher hatte zunächst an der Kunstgewerbeschule Leipzig studiert, später dann in Dresden an der Kunstakademie bei Ferdinand Pauwels und Leon Pohle. Seine Sicht auf das Fin de Siècle kann man nun entdecken: die Kunst eines Mannes, der lange Jahre beinahe vergessen war. Den „sächsischen Klimt“ hatte man ihn zu seiner Hochzeit genannt. Er war auch persönlich mit dem Star der Jahrhundertwendemalerei befreundet. Es sind einige Bilder in der Ausstellung, die so gut sind, dass sie sofort in den Bann ziehen. Das „Bildnis einer Dame mit Zigarette“ von 1904 etwa, das die Modernität der Jugendstil- Bewegung verdeutlicht. Es war ein vollkommen neues Frauenbild, das hier entworfen wurde. Noch moderner aber wirkt Zwintscher im Bereich der Landschaftsmalerei mit seinen etwa in seinem Wohnort Meißen entstandenen, topografisch sehr genauen, markanten Städtebildern. Die Dachlandschaften, die Gliederung der Landschaft der Elbauen in Farbflächen aus Rot und Grüntönen – das gehört wirklich zu den avanciertesten Kunst-Entwürfen der damaligen Zeit.

Die Vergänglichkeit
Immer wieder hat Zwintscher seine Frau Adele gemalt. Als stehende Frauenfigur, die ihre Hand an eine Türklinke legt, im Pagengewandt, als Braut, in ihrer ganzen Schönheit, aber auch in der Zeit des Alterns. Doch wirklich alt wurde Zwintscher nicht. Nur etwa 25 Schaffensjahre hatte er – 150 Gemälde gibt es. Die Vergänglichkeit, ein großes Thema in Symbolismus und Jugendstil, ist auch bei Zwintscher präsent. Ein Jüngling spielt die Geige, so sehen wir es in dem 1903 entstandenen Gemälde „Die Melodie“ – doch eine dunkel verhüllte, weibliche Figur assistiert: Das ist der Tod. Dieses „Selbstbildnis mit Tod“ entstand schon 1897. 1916 starb Zwintscher, der Zeit seines Lebens an einer labilen Gesundheit litt, in seinem Haus in Dresden- Loschwitz. Seine letzten Arbeiten sind nationalistischer Monumentalismus, gemalt im Geist der Zeit: Man muss sie nicht gesehen haben.

Lange vergessen – jetzt wieder im Fokus
Warum war Zwintscher so lange vergessen? „Die westliche Kunstgeschichteschreibung schaute nicht in den Osten“, so erklärt es sich Hilke Wagner, Direktorin des Albertinums der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Die Ausstellung „Weltflucht und Moderne – Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900“ rückt den sächsischen Meister mit etwa 80 Arbeiten, darunter auch Papierarbeiten und Keramik, wieder in den Fokus: als einen Künstler zwischen Symbolismus, Jugendstil und Neuer Sachlichkeit, als einen hervorragenden Porträtisten. Die Ausstellung zeigt auch Arbeiten von Zeitgenossen wie Heinrich Vogeler oder Paula Modersohn-Becker. Zwintscher war selbst im Jahr 1902 zu Gast in der Worpsweder Künstlerkolonie, wo auch Porträts von Rilke und seiner Frau Clara Westhoff entstanden sind. Wer also ist dieser Mann auf den Plakaten? Ein Besuch im Museum Wiesbaden bringt ihn uns nun nahe, den vergessenen sächsischen Meister.

Foto: Bernd Fickert


WTF
Bis 23. Juli im Museum Wiesbaden
museum-wiesbaden.de

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