Wenn Netflix zu eintönig wird
Teilen
Es ist einfach, sich vom Lesen ablenken zu lassen. Netflix oder Podcasts bieten genug Möglichkeiten dazu. Da bleibt das 500-Seiten- Buch schon mal auf der Strecke. Die Mission des Mainzer Literaturbüros ist es, mehr Leute zum Lesen zu bewegen.
von Nathalie Klump
In den vergangenen Jahren wurde das von etlichen Pisa-Studien unterstrichen: In Deutschland ist das Interesse am Lesen und Schreiben bei Kindern und Jugendlichen deutlich runtergegangen und im Vergleich zu Nachbarländern stetig niedrig.
Um die Literaturszene und das Interesse an Literatur am Leben zu erhalten, sind Vermittlungsakteure wie Verlage, Zeitungen und Literaturbüros wichtiger als je zuvor – denn sie bringen Literatur, egal ob es der kleine Comic oder die neue Romanserie ist, an die Masse. Deshalb haben wir uns das Literaturbüro in Mainz mal genauer angeschaut und Dietmar Gaumann, einem der drei Mitarbeiter des Büros, Fragen zu ihren Aufgaben, Projekten und Zielen gestellt.
Zusammen mit Ingo Rüdiger und Marcus Weber führt er das Literaturbüro. Sie planen das Programm, vergeben Literaturpreise und organisieren Lesungen sowie Schreibworkshops. Ursprünglich haben sie während ihres Studiums angefangen, dort mitzuwirken, und haben es seit den späten 90ern gepflegt. Obwohl sich das Literaturbüro in der Zitadelle befindet, ist es keine städtische Einrichtung, sondern ein eingetragener Verein, der sich durch Mitgliedsbeiträge und Projektmittel vom Land und der Stadt finanziert. Gaumann, Rüdiger und Weber arbeiten freiberuflich dort. Ihr Ziel: Literatur und Schreiben an die Jugend und Erwachsene zu bringen.
Mitunter organisieren sie eine Menge an verschiedenen Schreib- und Leseförderungsaktionen, vor allem seit der Pisa-Studie 2003, bei der Deutschland besonders schlecht abgeschlossen hat. Ihre Schreibworkshops sind meist gefüllt von zehn bis 15 Jugendlichen, die Interesse daran haben, an ihren eigenen Schreibkünsten zu arbeiten. Hier wird die Leitung von erfahrenen Autor:innen übernommen, die den Jugendlichen aktiv Tipps geben, wie sie ihr Schreiben verbessern können. Natürlich ist aber ein weiterer Fokus, das Interesse selbst zu fördern, zu motivieren und Spaß zu haben. Eines dieser Projekte ist die Workshop-Reihe „Little Arthur“, die wieder von Juni bis September stattfinden wird. Organisiert wird sie von Marcus Weber. Geleitet werden sie unter anderem von den Autor:innen Jens Schuhmacher, Ralf Kramp und Annegret Held. Das „Projekt Poetry“ ist ebenfalls ein Workshop, der vom Literaturbüro angeboten wird: Hier werden explizit Slam Poetry Texte geschrieben, gelesen und vorgestellt, meist in Kooperation mit Schulen und Jugendzentren. Tatsächlich scheinen Poetry Slams eine außerordentlich gute Resonanz mit Jugendlichen zu haben – Gaumann erklärt, dass das „Projekt Poetry“ besonders beliebt ist und es dazu immer eine gute Rückmeldung gab. Auch in Bezug zu den Lesungen schildert er, dass die Räume bei den monatlichen Poetry Slam Abenden wohl am meisten mit jüngeren Menschen gefüllt sind. Das scheint nicht weit hergeholt. Poetry Slams gewinnen stetig an Beliebtheit, da sie kurz und knackig, aber auch Futter für das Gehirn sind.
Dass heutzutage lieber schnell konsumiert wird, anstatt sich in eine 90-Minuten-Lesung zu setzen, wird auch vom Literaturbüro so aufgefasst. Gaumann schildert, dass sie ihre Lesungen daran auch anpassten. Die Veranstaltungen sind nun kürzer, und die Lesung selbst nimmt hier gerade mal 45 Minuten ein. Zudem wird sie meist moderiert.
„Vorlesen lassen kann man sich das auch zu Hause als Hörbuch“, sagt Gaumann. Aber wenn man mehr über den Autor oder die Autorin erfahren möchte, oder zur Entstehungsgeschichte des Werkes selbst, ist es doch nochmal ein anderes Erlebnis, direkt die Lesung zu besuchen. Hier bekommen die Zuhörenden auch die Möglichkeit, selbst Fragen zu stellen und sich am Ende das Buch vielleicht sogar am Büchertisch zu kaufen und signieren zu lassen.
Neben den Lesungen und Schreibworkshops planen und vergeben sie noch Literaturpreise: Am 19. April findet zum Beispiel das Finale des Literaturförderpreises Mainz 2023 statt, bei dem die drei Finalist:innen ihre Werke vorstellen und von der vierköpfigen Jury und dem Publikum mit einer Abstimmung bewertet werden. Dazu betreut das Literaturbüro den „Goldenen Leslie“, ein Literaturpreis, der von acht Jugendlichen an jugendliche Schriftsteller:innen vergeben wird.
Das Literaturbüro ist in jeder Hinsicht stets bemüht, Literatur an die Masse zu bringen und heißt jeden herzlich willkommen, der Appetit auf unterhaltsame Romane und bewegende Slam Poetry hat. Sein Programm für dieses Halbjahr wird auch bald auf der Website stehen. Wer weiß, vielleicht wird Netflix doch irgendwann zu eintönig und da kann die eine oder andere Lesung ja doch ganz interessant sein.