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Mainz

Klaviermusik unter freiem Himmel

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So mancher schnappt sich bei gutem Wetter sein Fahrrad oder geht wandern: Johannes Reinig aus Mainz ist am liebsten mit seinem fahrbaren Klavier im Grünen

von Inken Paletta

Spaziergänger, die in Mainz, Wiesbaden und Umgebung am Rhein oder entlang der Grünflächen unterwegs sind, haben ihn sicher schon spielen hören. Denn seit 2021 ist Johannes Reinig von Frühjahr bis Herbst bei gutem Wetter mit seinem rollenden Klavier, der Klimperkutsche, an ruhigen Orten rund um seinen Wohnort Mainz anzutreffen. „Fußgängerzonen sind mir zu laut und zu stark reglementiert.“ Natürlich sei er mittlerweile mit allen Gesetzen und Regelungen für Straßenmusik vertraut, aber es sei viel schöner in der Natur zu spielen. Auch möchte er den Straßenmusikern nicht ihre Standorte streitig machen. „Denn die Klimperkutsche ist für mich nur ein Hobby und einfach die beste Möglichkeit dem trubeligen Alltag zu entfliehen. Ich kann so eingeübte Stücke präsentieren und den Spaziergängern mit meiner Musik ein Lächeln auf das Gesicht zaubern“, erklärt Reinig, der seit seiner Kindheit Klavier spielt, weitere Instrumente wie Violine, Bratsche oder Kontrabass beherrscht und mit seiner Band Absinto Orkestra fetzigen Balkanjazz auf die Bühne bringt. „Doch nur von der Musik leben möchte ich nicht. Durch meinen zweiten Job als Programmierer für ein Wiesbadener IT-Unternehmen habe ich den Luxus, die Musikprojekte auswählen zu können, die mir Freude machen“, erzählt Reinig und ergänzt: „Neben dem Absinto Orkestra ist das zum Beispiel das Chanson-Projekt mit der Chanson- und Jazzsängerin Irmgard Haub. Gemeinsam haben wir 2019 Gedichte der österreichischen Schriftstellerin Elisabeth „Lili“ Grün vertont.“

Ein Klavier auf Rädern: Eine Idee nimmt Form an
Die Idee zur Klimperkutsche entstand in der Coronazeit. Damals fielen alle Auftritte mit der Band weg. Auch in seinem Programmierjob gab es Kurzarbeit. „Plötzlich hatte ich viel Zeit und ich wollte schon immer mal draußen Klaviermusik machen.“ Gesagt, getan: Mit der Unterstützung eines guten Freundes und Tipps vom Mainzer Pianisten Simon Höneß, der seit mehr als 30 Jahren mit seinem rollenden Klavier unterwegs ist, wurde der Traum Realität. „Ein guter Kumpel ist Ingenieur. Er hat mir den Transportmechanismus für mein Klavier entworfen und konstruiert.“ Auch ein altes, gebrauchtes Klavier der Marke Calisia war schnell gefunden. „Wichtig war, dass es 88 Tasten hat, denn ich wollte auch klassische Stücke auf dem Instrument zum Besten geben.“ Nach zwei Monaten intensiver Vorplanung und Schuften in der Garagenwerkstatt des Kumpels war es soweit: Das Klavier samt fahrbarem Untersatz und Transport- Anhänger war startklar für den Außeneinsatz. „Das war eine echt arbeitsintensive und lehrreiche Zeit, aber es hat sich gelohnt“, erzählt Reinig lachend, der in dieser Zeit das Schleifen und Schweißen lernte und wie man generell mit Stahl arbeitet. „Im Anschluss musste ich mich dann mit dem Mechanismus meines rollenden Klaviers vertraut machen Mit dem jetzigen pneumatischen Mechanismus und den Luftreifen, lässt sich das Klavier mittels Fahrradpumpe ganz einfach hoch und runter manövrieren und verstimmt sich auch nicht so schnell.“ Pannen gab es bislang wenige. „Einmal ist mir bei einem Auswärtsspiel in Gießen eine Taste kaputt gegangen. Das war eine echte Herausforderung, denn ich konnte den ganzen Tag das G nicht anspielen. Zum Glück ließ sich das zu Hause einfach reparieren“, erzählt Reinig mit einem Lachen.

Viel Klassik und Jazz sowie bekannte Stücke
Einer seiner Lieblingsplätze liegt in Gonsenheim, im Lennebergwald. Es gibt dort eine kleine Kapelle und ein paar Bänke und der Ort ist auch gut mit dem Auto und Anhänger zu erreichen. „Ich freue mich immer riesig, wenn Spaziergänger stehen bleiben und manchmal sogar gebannt lauschen bis ich nach ein oder zwei Stunden aufhöre zu spielen.“ Am liebsten spielt er klassische Stücke, Jazzmusik und Stücke, die die Leute wiedererkennen, zum Beispiel die Melodie aus „Die fabelhafte Welt der Amelie“, die „Arabesque“ von Claude Debussy, schwungvolle Songs wie „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ oder „Hey Pippi Langstrumpf“, wenn kleine Kinder mit ihren Eltern vorbeikommen. „Bei älteren Ehepaaren passt immer gut „As time goes by“ oder „Love me tender“. Toll sei es auch Open Air mit anderen Musikern zu spielen und zu improvisieren, wie zum Beispiel bereits mit Simon Höneß. „Wer Lust hat, kann gerne mit Instrument zu einem meiner nächsten Klimpertermine vorbeischauen. Die Termine findet ihr, abhängig vom Wetter, immer zeitnah auf meiner Webseite klimperkutsche.de“

Foto: Johannes Reinig


WTF
Weitere Musikprojekte von Johannes Reinig
Absinto Orkestra: absinto.de
Irmgard Haub Trio: irmgard-haub-trio.de
Wer gerne einen Pianisten mit fahrbarem Klavier buchen möchte, dem empfiehlt Johannes Reinig den Pianisten Simon Höneß.
(simonhoeness.de)

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