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Mainz

Liebe in leichter Sprache

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Die Liebelle ist die einzige Beratungsstelle für selbstbestimmte Sexualität von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Mainz. Wie lange noch, ist offen.

von Konstantin Mahlow

„Wir machen hier keine Therapie“, stellt Lennart Seip bereits früh in unserem Gespräch klar: „Die Selbstständigkeit unserer Kundeninnen und Kunden steht im Vordergrund. Und es ist nicht im Sinne eines selbstbestimmten Lebens, wenn man zu einer Beratung überredet werden muss.“ Wir sitzen auf einen Tee zusammen in den Räumlichkeiten der Beratungsstelle Liebelle im Hechtsheimer Industriegebiet, direkt neben Lennarts Arbeitgeber „in. betrieb“. Außer dem kleinen Beratungsraum für persönlichere Gespräche gibt es neben zwei Büros und einer Teeküche noch einen großen Seminarraum, in dem Sitzungen, Kurse und Seminare gehalten werden. In allen Fällen dreht es sich um die Sexualität zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten. Der Begriff ist eine Sammelbezeichnung für die unterschiedlich ausgeprägten Beeinträchtigungen und Ausprägungen geistig-intellektueller Einschränkungen. Die früher übliche Bezeichnung „geistig behindert“ wird heute als abwertend betrachtet.

Lennart Seip ist wie seine Kollegin Lotta Brodt Sozial- und Sexualpädagoge und von Anfang an dabei. 2015 startete die Liebelle als erste ihrer Art in Mainz mit Hilfe der Aktion Mensch. Sie ist eine Kooperation der in.betrieb gGmbH Gesellschaft und Integration und des pro familia Ortsverbandes. Entstanden ist die Liebelle, „weil Personen mit Lernschwierigkeiten nicht mit den notwendigen Angeboten an sexueller Bildung versorgt sind, besonders wenn es um Sprache und Zugang geht.“ Mit der Einrichtung der Beratungsstelle habe man „eine Lücke geschlossen.“ Genau wie auf der Homepage wird auch hier in leichter Sprache gesprochen und geschrieben. Leichte Sprache ist eine geregelte Form der einfachen Sprache, die auf eine besonders leichte Verständlichkeit zielt. So werden überwiegend kurze Sätze ohne Fremdwörter oder Abkürzungen benutzt. Die Liebelle veröffentlichte bereits ein Erklär- Heft zum Thema Pornos und den richtigen Umgang damit in ebendieser Sprachform.

Es geht aber nicht nur um Sex. „Das Thema ist riesengroß. Es dreht sich auch um psychosoziale Aspekte wie Beziehungen oder Beziehungsprobleme“, erzählt Lennart. Die Teilnehmer in den meist geschlechtsspezifischen Beratungsgesprächen, Seminaren und Sitzungen bringen natürlich auch eine ganze Reihe eigener Anliegen mit, und doch gibt es ein paar Dauerbrenner: Die Prävention sexueller Infektionen, Verhütungen und ungewollte Schwangerschaften etwa. Ein großer Teil kommt in Begleitung, „was bei uns natürlich immer die Frage aufwirft, wer sich eigentlich beraten lassen will, wer die Motivation mitbringt.“ Unter dem Strich soll ein positives Bild von Liebe in all ihren Facetten vermittelt und Menschen mit Lernschwierigkeiten darin unterstützt werden, ihr Recht auf das selbstbestimmte Ausleben ihrer Sexualität wahrzunehmen. Wenn sie dieses Recht einfordern, sind es oft auch die Eltern, die die Ratsuchenden sind.

Außer dem EVIM, dem Evangelischen Verein für Innere Mission in Wiesbaden, gibt es im STUZ-Gebiet kaum eine andere Einrichtung, die sich dem Thema widmet und Unterstützung leisten kann. Und auch für die Liebelle sieht die Zukunft ungewiss aus. Bis Mai 2021 wurde sie drei Jahre lang von der Skala-Initiative unterstützt, seitdem sind sie ohne eine klar geregelte Finanzierungsstruktur. Zuschüsse von Stadt und Landkreis sowie Spenden aus sozialen Projekten, allen voran des Vereins Herzenssache von SWR, SR, Spardabank Südwest und Baden-Württemberg, brachten die Liebelle noch einigermaßen durch das Jahr 2023. Für das kommende Jahr ist die Finanzierung nicht mehr gesichert. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es uns nächstes Jahr noch geben wird“, muss Lennart am Ende unseres Gespräches eingestehen.

Um eine öffentliche Finanzierung ist man bemüht, doch von Seiten der Stadt hieß es bisher immer, es gebe kein Geld. Das hat sich ja bekanntlich geändert. Aber ob ein Haase oder Viering die Liebelle überhaupt auf dem Schirm haben, wenn es nach der Stichwahl zum Oberbürgermeister in Mainz um die Frage geht, wie die hunderten Millionen an Steuerüberschüssen der nächsten zwei Jahre in die Gesellschaft investiert werden könnten, ist unklar. Für eine moderne und weltoffene Stadt sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, all ihren Bürgerinnen und Bürger die Unterstützung zu gewährleisten, die sie brauchen. Die Zukunft wird zeigen, wie wichtig ihr das ist.

Illustration: Leon Scheich

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