Varnas helfende Hände
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Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine flüchteten etwa 900.000 Menschen nach Bulgarien. Internationale Studierende gründeten in Varna den „Arbeitskreis Nord-Ost“, um humanitäre und medizinische Unterstützung zu leisten. STUZ hat mit zwei der Freiwilligen gesprochen.
von Myriam Neureuther
Allow me to thank you, and to thank the Bulgarian people for your outstanding generosity towards the Ukrainian people that are fleeing the war in Ukraine”, bedankt sich die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen während ihres Besuchs in der bulgarischen Hauptstadt Sofia Anfang April. Beinahe gleichzeitig stehen eine Gruppe Studierender, freiwilliges medizinisches Personal und Übersetzer:innen in einer Unterkunft für geflüchtete Ukrainer:innen in der bulgarischen Hafenstadt Varna. Sie versuchen, einen Rotavirus- Ausbruch mit über 200 erkrankten Kindern in den Griff zu bekommen. Das ausgebildete Team wurde vom „Arbeitskreis Nord-Ost“ (AKNO) organisiert. Johannes Müller, der in Varna Medizin studiert, gründete die Organisation kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und baute sie gemeinsam mit anderen internationalen Medizinstudierenden weiter auf. „Ich hatte einfach das Gefühl, ich muss irgendwas machen und dann ging es auch schon los“, berichtet er von den Anfängen.
Sie sammeln Spenden, leisten humanitäre Hilfe in den bulgarischen Unterkünften, versorgen Geflüchtete mit Hygieneprodukten. Aufgrund der unzureichenden medizinischen Versorgung starten sie kurz darauf das Projekt „MedAid“. Sie holen in Kooperation mit „Medical Volunteers International“ Ärzt:innen nach Varna und stellen ihnen eine Infrastruktur und medizinische Ausrüstung zur Verfügung. Teilweise statten sie auch geflüchtete ukrainische Ärzt:innen mit grundlegenden Arbeitsmaterialien aus. „Das waren immer wieder eindrucksvolle Erlebnisse“, erzählt Johann Von der Schulenburg, der ebenfalls Teil der Organisation ist. „Es gab zum Beispiel eine Gynäkologin, die konnte unsere Ausrüstung wie Untersuchungsstuhl und Ultraschall nutzen und hat dann mehrmals die Woche lange Sprechstunden gemacht, sie konnte quasi wie eine gewöhnliche Gynäkologin arbeiten“.
An der Unterstützung der Ukrainer:innen durch die bulgarische Regierung wird immer wieder Kritik laut. Besonders die Frage nach der Unterbringung und fehlende Integrationsmöglichkeiten sorgten für Proteste der Geflüchteten. Aber auch die mangelhafte medizinische Versorgung durch das Gesundheitssystem wird von bulgarischen Medien wie der Zeitung „Dnevnik“ thematisiert, die insbesondere die unzureichende Behandlung von chronischen Krankheiten wie Diabetes beschreibt. „Man muss berücksichtigen, dass es für viele Bulgaren selbst schon schwer ist, ausreichend Zugang zu Ärzten zu haben“, gibt Johann von AKNO zu bedenken. „Dann ist es nochmal kritischer, inwieweit ein Land seine begrenzten Ressourcen einer großen Anzahl Geflüchteter zur Verfügung stellen kann.“ Nach Angaben der bulgarischen Regierung sind seit Kriegsbeginn insgesamt etwa 900.000 Ukrainer:innen nach Bulgarien eingereist, von denen circa 145.000 temporären Schutz beantragt haben und 50.000 im Land geblieben sind. Viele reisen weiter nach Mitteleuropa.
Die politische Situation in dem ärmsten EULand ist zusätzlich dadurch erschwert, dass Bulgarien aktuell keine reguläre Regierung hat. Von 2009 bis 2021 stellte fast ausschließlich die konservative Partei GERB den Ministerpräsidenten, der Regierung wurden immer wieder Korruption und mafiöse Handlungsweisen vorgeworfen. 2021 gewann nach drei Parlamentswahlen eine Anti-Korruptions-Partei, die sich übersetzt „Wir setzen den Wandel fort“ nennt. Sie stellte den Ministerpräsidenten und bildete in einer Koalition aus vier Parteien die neue Regierung. Diese zerbrach bereits ein halbes Jahr nach Amtsantritt Anfang Juni 2022 und eine Übergangsregierung übernahm.
„Es wird immer Versorgungslücken geben, egal in welchem Land“, sagt AKNO-Gründer Johannes. Dass seine Organisation helfen kann, im Umkreis von Varna eine Lücke zu füllen, entgeht auch dem UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR für Bulgarien nicht. „Sie haben uns vor wenigen Wochen eingeladen, dass wir Teil des Regional Refugee Response Plan für Varna werden“, erzählt Johann. „Das ist natürlich ein Ritterschlag für eine so junge Organisation, wenn quasi die UN sagt: Ihr dürft Teil unserer Strategie hier vor Ort werden“.
Erstmal zählt für AKNO jedoch, sich auf den Winter und mögliche Corona-Ausbrüche in den Unterkünften vorzubereiten.