Geldgefühle
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Geld fühlt sich schmutzig an und dazu muss man es nicht einmal anfassen. Wie ein oller Fleece-Pullover mein inneres Kind erstickt.
von Princesha Salihi
Ich besuche einen Freund in Prag. Mit dabei: weitere Freund:innen aus Deutschland und Litauen und unangenehme Gefühle zu Geld. Gefühle, die ich noch aus dem Auslandssemester in Zagreb kenne. Dort haben wir uns kennengelernt. In einer präpandemischen und fast sorglosen Zeit. In Zagreb saßen wir viel in Cafés herum, gingen aus und gingen essen. Unter der Woche planten wir Wochenendtrips ans Meer oder in angrenzende Länder. Ein bisschen studierten wir auch. Wir redeten viel und lachten gerne. Als wir in Prag zusammenkommen ist die Vertrautheit und Wärme gleich wieder da. Aber auch etwas anderes taucht wieder auf. Neben verschiedenen Sprachen brachten wir damals auch unterschiedliche Kontostände mit. In Zagreb hausten internationale Studierende aus dem Osten eher im Wohnheim und gingen in die Mensa während deutsche und spanische Party- Studis in hübschen WGs wohnten und in veganen Restaurants aßen. Wenn wir am Wochenende wegfuhren, wurde über Einkäufe oder Unternehmungen diskutiert. Entscheidend war meist das Geld.
Haben oder Nicht-Haben
Obwohl wir nicht besonders intensiv über Geld sprechen, begleitet mich dieses diffuse Geldgefühl auch über die Tage in Prag hinweg. Egal ob ich Postkarten kaufe oder mein Abendessen sogar mit Vorspeise bestelle: Ich trage meinen Konsum offen zur Schau und fühle mich unwohl. Die Freunde aus Vilnius und Prag erzählen, wie prekär sie angestellt sind und wie schlecht sie in ihren Nebenjobs bezahlt werden. Einer von ihnen muss mit fast 30 bei seinen Eltern wohnen; die hohen Mieten zwingen ihn dazu. Während ich in einem Second-Hand-Shop einen Fleece-Pullover kaufe, merke ich, wie ich beginne, mich für den Kauf zu rechtfertigen: Scherzhaft erwähne ich den kalten gasarmen Winter, der uns bevorsteht. Dabei weiß ich sehr gut, was es heißt, kein Geld zu haben. In unserer Erasmus-Reisegruppe sind alle studentenmäßig broke. Manche arbeiten, manche geben Bafög und manche das Geld von Mama und Papa aus. Dass wir unterschiedlich viel haben, fühlt sich irgendwie schmutzig an. Ein beklemmendes Gefühl legt sich über alles, was wir machen, denn die meisten spaßigen Dinge, so haben wir es ja gelernt, kosten eben Geld. Es ist die Scham des Habens und des Nicht-Habens. Die Scham für die eigene Armut. Und die für das wenige Geld, wenn man weiß, wie sich die Scham anfühlt, keins zu haben.
Umverteilung von Freude
Wir leben nun mal in einer kapitalistischen Gesellschaft, sage ich mir fast entschuldigend und sehe meinen neuen Pullover an. Ich werde den Planeten und auch den Prager Mietspiegel nicht retten – mit und ohne Pullover nicht. Sowieso ist diese individualisierte Konsumkritik ein Riesenquatsch, der die Klima- und Sozialpolitik letztlich nur entpolitisiert. Die erdrückende Verantwortung liegt damit auf den einzelnen, aber gleichsam machtlosen Bürger:innen. Ich packe den Pullover ein und denke: Geld, Geld, Geld. Wer keins hat, kann nicht mitspielen. Das Märchen von der Chancengleichheit macht`s möglich: Wenn wir erstmal glauben, alle hätten die gleichen Möglichkeiten, diskutieren wir auch nicht mehr über Umverteilung. An ihrer Armut ist schließlich jede:r selbst schuld, man hätte einfach härter arbeiten müssen. Erst kürzlich hat mich meine Mutter beauftragt, Geld an meine Tante in die Heimat zu senden. „Schicken Sie mit wenigen Klicks Freude an fast jeden Ort der Welt“, lese ich auf der Seite des Internationalen Geldtransfers der Western Union und muss lachen. Die Umverteilung von Freude. Dagegen kann doch wirklich niemand etwas haben.
Wenigstens die Freundschaft
Ich will einfach eine nette Zeit mit Freund:innen verbringen und sehe mich jetzt in einem Prager Café sitzend mit dieser Misere konfrontiert. Es verbindet sich, was nicht verbunden gehört. Geld und Freundschaft. Wir suchen uns Heißgetränke und Kuchen aus. Ich halte meine EC-Karte ganz kontaktlos an das Lesegerät. Die Unbeschwertheit weicht der Scham. In diesen Momenten stirbt das unschuldige, kindliche des Freundinseins. Mich überkommt das Bedürfnis, mir die Hände zu waschen. Lasst uns doch wenigstens die Freundschaft, denke ich und seife mir die beschmutzten Hände ein.
Von nun an werde ich immer, wenn ich mir in unserer kalten Mainzer Wohnung diesen Pullover aus Prag über den Kopf streife, an Geld denken müssen. Wenigstens muss ich jetzt weniger heizen.
Illustration: Leon Scheich