Vom Amazonas an den Rhein
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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 24: Die Nutria
von Konstantin Mahlow
Zugeben: Eingewanderte oder eingeführte Tiere, Neozoen genannt, füllen mit erstaunlicher Regelmäßigkeit die Seiten dieser Kolumne. Doch weder werden sie bevorzugt, noch soll hier gar Panik vor fremden, in vielen Fällen leider auch invasiven Arten geschürt werden. Ihre Zahl wächst im globalen Zeitalter einfach stetig weiter, sei es in Deutschland oder auf der ganzen Welt. Schuld daran sind vor allem zwei Phänomene: Der Klimawandel, der Silberreiher, Spinnenläufer und Holzbienen immer weiter gen Norden vordringen lässt. Und der unbedachte Mensch, der manchmal mit Absicht, manchmal aus Versehen Tier- und Pflanzenarten von der einen in die andere Hemisphäre verschleppt. Halsbandsittiche und Nilgänse wurden hier bereits vorgestellt, wobei letztere als problematisch für die heimischen Ökosysteme gelten. In dieser Kategorie fallen auch die Nutria (Myocastor coypus), die es sich seit einigen Jahren am Oberrhein gemütlich machen.
In Europa wurden die aus Südamerika stammenden, beinahe bibergroßen Nagetiere seit Ende des 19. Jahrhunderts wegen ihres begehrten Pelzes in Farmen gehalten. Gefangenschaftsflüchtlinge und bewusst ausgewilderte Nutrias vermehren sich in Deutschland seit den 1930er Jahren und konnten hierzulande stabile, wenn auch aufgrund des kühlen Klimas meist nur kleine Populationen etablieren. Bekanntermaßen ändert sich das Problem mit dem Wetter allerdings zugunsten der Neubürger. In Mainz werden seit einigen Jahren Nutrias im Winterhafen und vor kurzem auch im Zollhafen beobachtet. Darüber hinaus kommen sie außerhalb der Städte überall entlang des Rheinufers vor, wenn auch in unterschiedlicher Häufigkeit. Verwechselt werden sie oft mit den ebenfalls eingeschleppten, aus Nordamerika stammenden Bisamratten, die allerdings etwas kleiner als die bis zu 20 Pfund schweren Nutrias bleiben. Und mit den heimischen, wiederum deutlich größeren Biber, die sich nach langer Abwesenheit erst langsam wieder im Rhein-Main-Gebiet ausbreiten.
Schnorrer mit orangen Zähnen
Nutrias sind wohl nicht ganz unschuldig daran, dass die Bibersichtungen im Rhein zugenommen haben. Derweil sind sie meist ungefährlich für den Menschen – ganz anders als die im Rheinzufluss Erft heimischen Piranhas oder die angeblich immer mal wieder gesichteten Krokodile. Und doch bereiten auch diese Exoten Sorgen, wenn sie wie im Landkreis Groß-Gerau zur Plage werden: „Kaum kommt ein Spaziergänger an den Mönchbruchsee, raschelt es im Gehölz und es plätschert im Wasser. Aus allen Ecken kommen kleine putzige Tiere, die bettelnd Männchen machen und dem Spaziergänger ihre orangefarbenen Zähne zeigen.“ So beschrieb einst das Blatt Echo die erfolgreichen Kontaktversuche der Nager mit dem Menschen, denen gegenüber sie überraschend zutraulich auftreten. Im Landkreis sind sie allerdings nicht nur als Schnorrer negativ aufgefallen: Nebenbei futterten sie beinahe den kompletten Bestand an Teichmuscheln weg. Da sie aber auch an Deichen und Dämmen teils immense Schäden anrichten, geht von den putzigen Nutrias dann doch eine größere Gefahr für uns aus, als die Piranhas in der Erft es je werden könnten.
Denn Nutrias bauen ufernahe Höhlen, in denen sie sich zurückziehen oder den Winter verbringen. Dabei können sie auch Deichanlagen durchlöchern, die so bei Hochwasser keinen Schutz mehr bieten. Wenn der örtliche Bestand dann auch noch angefüttert wird und sich dadurch noch stärker vermehrt, wird die Lage brenzlig. Die profane Lösung der Jagdverbände, die allerdings auch von Naturschützern befürwortet wird, heißt Abknallen. Das geht aber nur außerhalb der Schonzeit vom 1. März bis 31. August. Im Frühling vermehren sich die Nutrias fleißig weiter – besonders dort, wo der Mensch ihnen freundlich gesinnt ist und auch mal eine Karotte springen lässt. Früher sind große Teile der Population in kalten Wintern einfach erfroren. Die bleiben mittlerweile aber aus.
Am Nager knabbern?
Es bleibt also fast nichts anderes übrig, als bei zu positiven Bestandsentwicklungen einzugreifen und somit Muscheln und Dämme zu schützen. Die freigewordenen Nischen sollen dann nach dem Willen der Naturschützer im besten Fall von zurückkehrenden Bibern besetzt werden. Aber wie kann man die erlegten Nutrias ökologisch verwerten? Vielleicht, indem man sich auf alte ostdeutsche Traditionen besinnt: In der DDR wurde Nutriafleisch, das wie vom Wildschwein schmecken soll, für Rouladen, Mettwurst, Kochsalami und Landjäger verwendet. Vielleicht keine so schlechte Idee, denn so ganz werden die Nutrias wohl nicht mehr aus dem STUZ-Gebiet verschwinden.
Foto: Domenico Baiano