König Fußball ist ein Scheich
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Seit der WM-Vergabe 2010 an Katar gibt es kaum jemanden, der das Emirat auf der arabischen Halbinsel nicht kennt. Warum das Land aus geopolitischen Gründen seit Jahren Milliarden in Sport investiert, ist weniger bekannt.
von Leon Groß
Gastarbeiter:innen in Katar
Katar bezieht einen Großteil seines Reichtums aus dem Verkauf von Öl und Erdgas. Die daraus resultierenden Umsätze werden zu einem großen Teil an die Bevölkerung weitergegeben, was das Pro-Kopf-Einkommen in Katar zu einem der höchsten der Welt macht. Gehälter ab 9000 Euro monatlich und lebenslange kostenlose Krankenversicherungen sind für Kataris Standard, wie man auf der Website des Landes unter „Wissenswertes“ nachlesen kann. Das sagt jedoch wenig über den Wohlstand der meisten in Katar lebenden Menschen aus. Von den 2,8 Millionen Einwohner:innen besitzen nur rund zehn Prozent, also 250.000, die katarische Staatsbürgerschaft.
Die große Mehrheit der Menschen in Katar sind Gastarbeiter:innen die laut migrant-rights. org in prekären Verhältnissen wohnen und arbeiten. Obwohl im selben Land, leben die vorwiegend aus Bangladesch, Indien, Nepal und Pakistan kommenden Menschen, in einer gänzlich anderen Realität als die einheimische Bevölkerung. Für sie sind ausbleibende Gehälter und Schlafsäle mit acht bis zwölf Personen ohne Zugang zu fließendem Wasser der tragische Standard. Dies gilt eben auch für die Arbeiter:innen auf den Stadionbaustellen der Fifa. Auch vor der WM-Vergabe war die Lage der Arbeitsmigrant:innen fatal und wahrscheinlich wird sie es auch noch nach der WM sein, wenn sich der Fokus der Aufmerksamkeit wieder abgewandt hat.
Kafala-System
Ein Grund für die katastrophale Lage der Gastarbeiter:innen in Katar ist das mittlerweile formal abgeschaffte Kafala-System. Kafala bezeichnet ein System der Bürgschaft, das in vielen arabischen Staaten das Arbeitsrecht regelt und ist von Land zu Land unterschiedlich beschaffen. Der gemeinsame Nenner besteht darin, dass Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis der Gastarbeiter:innen an eine einzelne Person gekoppelt sind. Wird eine Aufenthaltsgenehmigung durch den Bürgen nicht verlängert, werden die betreffenden Arbeiter:innen automatisch zu „illegalen“ Einwohner:innen und somit kriminalisiert. Häufig ziehen die Bürgen die Reisepässe der Arbeiter:innen ein, wodurch diese nicht mehr selbstbestimmt das Land verlassen können. Laut der katarischen Regierung ist dieses System seit 2014 abgeschafft. Tatsächlich besteht es aber in weiten Teilen fort. Zwar hat Katar in den letzten Jahren strenge Arbeitsgesetze eingeführt, die beispielsweise Arbeitszeiten und Mindestlöhne regeln. Diese werden jedoch kaum kontrolliert. Klagen Arbeitnehmer:innen wegen Nichteinhaltung dieser Gesetzte, sind sie bis zum Prozessende der Willkür der Person ausgeliefert, gegen die sie klagen. Eine Verbesserung stellt laut Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Onlineverfahren dar, mit dessen Hilfe Arbeitnehmer:innen relativ unkompliziert kündigen und einen Arbeitswechsel beantragen können. Grund zum Aufatmen ist dieser Schritt in die richtige Richtung allerdings nicht. Über eine App namens „Metrash“ werden die Arbeitgeber:innen auf die Kündigung aufmerksam gemacht und können Klage gegen die Arbeitnehmer:in einreichen oder deren Pass für ungültig erklären. Es bleibt festzuhalten, dass sich seit der WM-Vergabe vor allem auf Gesetzesebene viel verändert hat. An der Lebensrealität der meisten Gastarbeiter:innen ändert das jedoch meistens leider nichts.
Sichtbarkeit durch Sport
Die Fußball-WM in diesem Jahr ist nur die Spitze des Eisbergs. 2015 fand die Handball- und 2019 die Leichtathletik-WM in Katar statt. 2011 kauft das Land den französischen Hauptstadtclub PSG und investiert bis heute über eine Milliarde Euro in den Verein. Für diese Investitionen gibt es zwei Hauptgründe: Erstens möchte sich Katar zukünftig unabhängiger von Öl und Gas machen. Der Plan der Königsfamilie umfasst massive Investitionen in Bildung, Kultur, Hightech und Sport. Der zweite Grund ist geopolitischer Natur. Das Land liegt zwischen den verfeindeten Ländern Saudi-Arabien und Iran. Um in einem potentiellen Konflikt, der beiden militärisch wesentlich besser aufgestellten Länder, nicht zerrieben zu werden setzt Katar auf Sichtbarkeit. Die Investitionen in PSG mit Prestigeeinkäufen wie Neymar oder Messi, das Sponsoring von Bayern München und nicht zuletzt die Fußball-WM erfüllen vor allem den politischen Zweck, Katar auf der Weltbühne bekannt zu machen. Auch wenn die Schlagzeilen über das Emirat häufig keine sind, die sich das Land gewünscht haben kann, ist zumindest dieses Ziel erreicht: Man muss kein Fußballfan sein, um Katar zu kennen.
Foto: UTC