Das Patriarchat erblüht am Autoreifen
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Eine kleine Auto-Panne, ein wenig Werkzeug, ein bisschen Übermut und ein paar Muskeln. Das Patriarchat schleicht sich in unerwarteter Gestalt zu uns und ist überraschend sexy.
von Myriam Neureuther
Soll ich ausparken? Ich habe da direkt vor einer Wurzel geparkt“. Lächerlich, denke ich und schnappe meinem Freund den Autoschlüssel aus der Hand. Ich bin schon über unzählige Wurzeln gefahren, noch nie auf einer vereisten Landstraße ins Schlingern gekommen und mit einem alten Nissan Micra durch das unbefestigte australische Outback geheizt. This ain‘t my first rodeo. Allein die Annahme, er könnte besser ausparken als ich, nervt mich. Warum müssen Frauen immer erst beweisen, dass sie die Dinge genauso gut können wie Männer. Vor meiner besten Freundin und ihrem Freund, die mit uns fahren, kann ich mir diese Blöße erst recht nicht geben. Ich fahre los. Es rumpelt, es kratzt. Er hat ja wirklich direkt vor einer Wurzel geparkt. Fuck. Ich bin keine KFZ-Mechatronikerin, aber ich weiß, dass ein kratzendes Geräusch nie ein gutes Zeichen ist. „Kein Problem“, sagt mein Freund. „Du kannst nichts dafür. Fahr einfach weiter, da ist nichts passiert“. Als wir über eine kleine Delle auf der Straße fahren, werden seine Worte erneut von einem fürchterlich lauten, kratzenden Geräusch am linken hinteren Teil des Fahrzeugs infrage gestellt. Ich halte an und wir spähen alle unter das Auto. Nicht weil wir wissen, wonach wir Ausschau halten, sondern weil man das halt so macht. Unsere Blicke treffen sich in dem Spalt zwischen heißem Asphalt und der undurchdringlichen untersten Schicht einer Technik, von der wir alle keine Ahnung haben. Es hängt nichts herunter, es tropft nichts. „Gut, fahren wir weiter“, sagt mein Freund, steht auf und klopft sich den Straßenstaub vom Körper. Ich will nicht mehr fahren und gebe ihm den Schlüssel. Ich fühle mich albern und schuldig. Nur wegen meinem Drang, überholten Rollenklischees trotzen zu müssen, sind wir überhaupt in dieser Lage. „Fühlen sich alle wohl, wenn wir so fahren?“, frage ich, während wir wieder einsteigen. Die Männer nicken entspannt, sie haben das Auto schließlich fachmännisch überprüft und für fahrtüchtig befunden. „Ich würde gern ein Gebet sprechen“, sagt die Freundin und wir fahren los. Die nächsten Minuten Fahrt sind die Hölle. Jede kleine Unebenheit im Straßenbelag, jede Linkskurve wird von einem unerträglichen Kratzen und dieses wiederum vom Zusammenzucken meiner Freundin und mir begleitet. Wir werden auf dieser Strecke verenden. Wir halten wieder. Schauen unter das Auto, fahren ein paar Meter, schauen nochmal. „Ich hab’s!“, rufe ich. „Das Blech über dem linken Hinterreifen ist nach unten gebogen und kratzt jedes Mal über den Reifen, wenn wir in eine Kurve oder über eine Unebenheit fahren!“ Nichts Dramatisches, nur ein bisschen verbogenes Blech, denke ich erleichtert und stolz über meine Entdeckung. Dann können wir in der Werkstatt ja ganz genau sagen, was repariert werden muss. Doch da dringen Gesprächsfetzen wie „wenn wir einfach mal den Reifen abnehmen“ an mein Ohr und ich bekomme es mit der Angst zu tun. „Ich sehe schon die Schlagzeile über unseren Unfall in der Zeitung morgen“, sagt die Freundin und ruft ihren Vater an, damit ein echter Erwachsener die Situation beurteilt. „Fahrt halt nicht schneller als 80“, lautet sein Rat. Allerdings erzählt sie auch, dass er einmal die ganze Heimfahrt aus dem Urlaub mit kaputter Bremse gefahren ist und ich weiß nicht, ob ich seinem Urteil trauen kann. Als ich mich wieder dem Auto zuwende, sind unsere Freunde schon dabei, in einer haarsträubenden Aktion das Blech aus dem Weg zu biegen. Um Gottes Willen. Aber wie sie da vor dem Reifen knien, mit zweckentfremdetem Werkzeug eine Hebelwirkung improvisieren, sich die Muskeln in den Oberarmen anspannen und genug Kraft in den Maulschlüssel setzen, um das Blech wieder gerade zu biegen… Fucking hot. Ich kann nicht anders, ich bin beeindruckt. Keine Spur von Zweifel, dass das Vorhaben misslingen könnte. Keine Spur von Angst, noch mehr kaputt zu machen. Der pure Wille, das Auto selbst zu reparieren, gibt ihnen Kraft und strömt durch ihre Arme, die das Blech nun tatsächlich aus dem Weg gebogen haben. Mir wird ein bisschen heiß. Ich sehe die glühenden Blicke meiner Freundin und weiß, dass sie dasselbe denkt. Wir können das Patriarchat verachten so sehr wir wollen – hier lebt es auf und es ist verdammt sexy.
Illustration: Leon Scheich