Die Arktis von Mainz
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Klimawandel, Landwirtschaft, Städtebau – all das bedroht unsere heimische Pflanzenwelt. Seit April werden in einer Saatgutbank im Botanischen Garten der JGU Mainz die Samen seltener und gefährdeter Wildpflanzen eingefroren und vor dem Aussterben geschützt.
von Myriam Neureuther
Minus 18 Grad, der Stoffwechsel wird heruntergefahren, der Alterungsprozess verlangsamt. Tiefgekühlt für die Zukunft, um eines Tages wieder aufgetaut zu werden und in neuer Blüte zu erstrahlen. Was sich nach Science- Fiction anhört, wird im Botanischen Garten der Johannes Gutenberg-Universität Mainz betrieben. Doch hier liegen nicht Paris Hilton und Britney Spears, die sich ein neues Leben in 100 Jahren erhoffen, sondern die Samen von gefährdeten Wildpflanzen.
Saatgutbanken für Wildpflanzen sind ebenso selten wie die Gewächse, die darin gesammelt werden. In Deutschland gibt es momentan nur vier solcher Einrichtungen. In Mainz liegen nun die Samen mystisch klingender Pflanzen wie der Lanzettblättrigen Glockenblume, der Schwarzen Teufelskralle und rund 40 anderer gefährdeter Wildpflanzen, die hauptsächlich hierzulande wachsen und für die das Bundesamt für Naturschutz eine besondere Verantwortung Deutschlands sieht. In Kooperation mit der TU Bingen wird außerdem Saatgut von etwa 60 Arten gefährdeter Ackerwildkräuter aufbewahrt.
Das Einlagern von Saatgut ist keine Mainzer Erfindung, doch in der Regel werden anderswo Nutzpflanzen konserviert. Beispielsweise im „Global Seed Vault“ auf Spitzbergen in der Arktis, in dem über eine Million Samen von mehr als 4000 verschiedenen Pflanzenarten liegen. Hier sind Samen von Reis, Weizen, Hirse, Kartoffeln und vielem mehr in einem Tresor im Permafrost eingeschlossen, um im Eis jede potenzielle Krise zu überdauern – außer vielleicht steigende Temperaturen.
Im angenehm warmen Mainzer Klima muss die Kälte künstlich erzeugt werden. Bevor die Samen auf Eis gelegt werden, werden sie gereinigt und in einer begehbaren Klimakammer bei 15 Grad und 15 Prozent relativer Feuchte langsam getrocknet. Dann erst werden sie in Tüten vakuumiert und bei minus 18 Grad eingefroren.
Finanziert wird das Programm vom Land Rheinland-Pfalz, der Mainzer Wissenschaftsstiftung, dem Freundeskreis des Botanischen Gartens Mainz und es wird im Rahmen des bundesweiten Verbundprojektes zum Wildpflanzenschutz WIPs-DE mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt gefördert.
Die Wildpflanzen stellen „gerade in Zeiten des Klimawandels eine wichtige Ressource dar“, wie die rheinland-pfälzische Umweltministerin Katrin Eder betont. „Jede Art übernimmt Funktionen im Ökosystem und ist auf besondere Weise an ihren Standort angepasst.“ Dies kann etwa für Strategien zur Zucht von Nutzpflanzen relevant sein. Die Pflanzen und ihre Samen dienen auch der Herstellung von Medikamenten, der Forschung, der Lehre und sie können wieder dort angesiedelt werden, wo sie ursprünglich gewachsen sind. So wurden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Vereinen und Projekten die Duft-Skabiose und der vom Aussterben bedrohte Lämmersalat wieder angesiedelt, im Herbst wird die Behaarte Karde ausgepflanzt.
Im Botanischen Garten der JGU Mainz liegt seit April also eine eigene kleine Arktis und eingeschlossen in dieser Arktis die Samen von Pflanzen, die andernfalls vielleicht für immer verschwunden wären.
Illustration: Leon Scheich