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Gesellschaft

Krieg im Kopf

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Es ist wieder Krieg in Europa. Man bespricht öffentlich die (Un)sinnigkeit einer Wehrpflicht und die Bedeutung von Frieden. Doch was löst dieser Krieg in einer jungen, im friedlichen Europa aufgewachsenen Generation aus? Zu den Waffen? Wir halten hier einige Gefühle und Gedanken der STUZ Autor:innen fest.

von Princesha Salihi

Heute ist es windig am Rhein. Eine junge Frau zündet sich eine Zigarette an. Ich denke an meine stetig wachsende To-Do-Liste. Fahrrad flicken. Diese Woche muss ich aber wirklich. Der Gedanke reißt sich von mir los und fliegt mit dem Wind stromaufwärts. Ich denke daran, dass gerade Krieg ist, dass immer Krieg ist. Die Wolken ziehen an mir vorbei. Ich denke an meine Mutter, die wochenlang mit uns im Wald ausharrte, bis sie die NATO-Intervention im Kosovo aufatmen ließ. Die Zweige und Äste biegen sich unter dem Druck. Ich denke an das Mädchen, das der Kontrolleurin in der Bahn mit schüchternem Blick ihren ukrainischen Pass entgegenstreckte. Ich denke an seine Mutter. Und obwohl der Wind immer heftiger weht, bleibe ich auf meiner Bank sitzen. Hier an meinem Plätzchen ist es schön, hier an meinem Plätzchen ist es sicher. Ich denke an die zerstörten Gebäude, die Trümmer, die Tränen. An die Angst, die müden Augen, die zittrigen Hände. Ein Sandkorn fliegt mir ins Auge, es tränt fast. Ich denke an die zerfetzten Körper, an Blutlachen, an schreiende Schmerzen. Eine Radfahrerin steigt vom Fahrrad ab, weil ihr das Lenken zusehends schwerer fällt. Ich denke an die kreischenden Kinder, die Verzweiflung, Schwindel, das laute Piepen im Ohr. Der Wind hat längst die Kontrolle über meine Haare und damit über mein Sichtfeld gewonnen. Ich blicke auf das Wasser, sehe wie sich der Luftzug gegen seine Oberfläche drückt. Es sieht gleichmäßig angeraut aus, wie eine riesige versiegelte Betonfläche. Ich sehe wie Panzer über den Rhein rollen. Ich sehe meinen Bruder – und stehe auf.

von Franziska Bold

Wärst du geblieben oder gegangen?“ Schweigen. Ich weiß es nicht. Kurz nach Ausbruch des Krieges habe ich diese Frage oft gehört. Vermutlich gegangen, da Kämpfen und Sterben für das eigene Land für mich ins letzte Jahrhundert gehört. Doch das ist natürlich leicht gesagt in einer funktionierenden Demokratie, deren Souveränität von niemandem in Frage gestellt wird. Und vor allem ist es leicht gesagt, wenn man nicht mit der Angst einschlafen muss, dass der Krieg am nächsten Tag Freunde oder Familie in seinem gierigen Rachen verschwinden lässt. „Bist du für die Wiedereinführung der Wehrpflicht?“ Eigentlich nicht, nein. Bin ich verweichlichtes Kind der Generation Wohlstand und Frieden in Europa? Oder hänge ich immer noch in einem weltfremden, pazifistischen Traum fest? Vielleicht. Aber es geht mir gehörig gegen den Strich, dass ein Sondervermögen in Milliardenhöhe für die Bundeswehr im Grundgesetz verankert werden soll, um sicherzustellen, dass das Geld nicht doch irgendwann für andere Dinge ausgegeben wird. Und dass man immer noch Atomwaffen braucht, um sich in dieser Welt Respekt zu verschaffen. Vor mir im Bus sitzt eine ukrainische Familie. Das kleine Kind lacht und zeigt aus dem Fenster. Ich kann mir nicht vorstellen, was in diesen Menschen vorgeht, kann mir nicht anmaßen zu verstehen, was sie durchmachen mussten. Scham durchdringt mich. Wie kann es sein, dass ich mich gestern noch über steigende Nebenkosten beschwert habe? Ich nehme an einem Benefizkonzert teil. Irgendwie komme ich mir lächerlich dabei vor, in meiner privilegierten Position Friedenslieder zu singen. Wem nützt das schon? Auf der anderen Seite erinnert es mich daran, dass es noch viel weniger nützt aufzugeben. Denn dann hätte der Krieg auf jeden Fall gewonnen.

von Johanna Hauri

Ich weiß noch genau, was ich am 24.02.2022 gedacht habe. Ich war erschrocken und ungläubig, als meine Mitbewohnerin gesagt hat: „Jetzt ist der wirklich in die Ukraine einmarschiert“. Ich weiß nicht, was alle Menschen in der Ukraine an diesem Tag empfunden haben müssen. Auch kann ich es mir nicht im Entferntesten ausmalen, was das für ein Gefühl sein muss. Die Gewissheit zu haben, dass es erstmal nur noch sehr viel schlimmer wird, bevor es irgendwann vielleicht besser wird. Zu wissen, dass die eigene Zukunft auf einen Schlag eine ganz andere ist, als man sie sich vorgestellt hat. Plötzlich ist es wahrscheinlich, selbst mitten in einem dieser Konflikte zu stecken, die sonst immer fernab unseres Alltags stattgefunden haben und so einfach zu verdrängen waren. Die Tage nach dieser Meldung habe ich viel Zeit auf jeglichen Nachrichtenportalen verbracht, um auf dem neusten Stand zu sein. Dann immer weniger, weil ich mich dabei so hilflos gefühlt habe. Zu lesen, wie viele Leben dieser unglaublich unnötige Krieg kostet und zerstört. Ich habe das Privileg genossen, mein Handy einfach wegzulegen und mit ihm alle Nachrichten. Doch all die Menschen, die auf der Flucht sind oder noch in ihrer Heimat ausharren, haben dieses Privileg nicht. Keiner von ihnen kann den Newsfeed schließen, um die Angst loszuwerden. Viele fliehen und manche bleiben, um in einem Krieg zu kämpfen, dessen Sinn und Ziel sich wirklich niemandem erschließt. Das trifft aber wohl auf jeden Krieg der Geschichte zu. Einmal mehr müssen für einzelne partikulare Interessen tausende Menschen Schmerz erleiden. Es macht mich wütend und traurig, dass sich das scheinbar niemals ändert. Sollen wir als junge Menschen trotzdem weiterhin idealistisch pazifistisch bleiben oder können wir uns eine solche Sichtweise nur erlauben, weil wir in einer funktionierenden Wohlstandsgesellschaft aufgewachsen sind?

von Tom Albiez

Wer hätte noch im Januar 2022 gedacht, dass Deutschland einmal Waffen an ein Land liefern würde, das mit Russland im Krieg steht? Vermutlich fast niemand. Es schien einfach zu absurd, dass Putin die Zukunft seines eigenen Landes und der Welt für seine Großmachtsfantasien aufs Spiel setzen würde. Wenn man eines aus diesem Krieg lernen kann, dann nur, dass Krieg nie rational ist. Er passiert einfach. Denn Menschen mit zu viel Macht vergessen lieber ihre eigene Bevölkerung als ihre angeblich bedrohten Sicherheitsinteressen. Wer da am Ende durch einen Angriffskrieg eigentlich noch geschützt werden soll, bleibt unklar. Die Menschen im Donbass auf jeden Fall genauso wenig wie die in Mariupol oder Luhansk. Wie jede Krise birgt aber auch der Ukraine-Krieg eine Chance. Deutschland und die EU waren gezwungen, Stellung zu beziehen. Denn keine Stellung zu beziehen, wäre ein unerträgliches Statement gewesen. Das erste Mal nach langer Zeit waren wirtschaftliche Interessen nicht mehr das Nonplusultra der Entscheidungsfindung. Sowohl auf Ebene der Politik als auch auf der vieler Unternehmen. Plötzlich ging es auch nicht mehr um Baerbocks Versprecher, über die im Wahlkampf gewitzelt wurde, sondern um ihre Qualitäten als Außenministerin. Um ihre beeindruckende Rede vor den Vereinten Nationen, in der sie sich für die Verurteilung des russischen Angriffskriegs stark machte. Oder um ihre Flüchtlingsbesuche vor Ort. In der Krise zeigt sich nun einmal, was tatsächlich wichtig ist. Fest steht, in diesem Krieg gibt es keine Gewinner. Auch die russischen Soldaten, die ihr Leben für diesen sinnlosen Krieg riskieren müssen, sind die Verlierer. Auch das darf man nicht vergessen, wenn in Youtube-Videos Vernichtungsschläge gegen russische Panzer gefeiert werden. Einen Grund zum Feiern gibt es erst, wenn das Sterben ein Ende hat.

Illustrationen: Leon Scheich

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