„Wir wollen Freiräume sichern“
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Wiesbadens Sozialdezernent, Christian Manjura, geht auf Jugendliche zu, hat Verständnis für Freiräume und koordiniert dafür städtische Ämter. Es ist ein förderlicher Ansatz und hofft auf ein gutes Miteinander. STUZ hat nachgefragt, auch weil Mainzer Politiker das lesen sollten.
Interview von Michael Süss
Viele Jugendliche nutzen vermehrt Grünanlagen oder öffentliche Plätze zum Treffen, zum Cornern und am Ende auch um zu feiern. Welche Konflikte entstehen dabei?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass der öffentliche Raum heute über alle Altersgruppen hinweg viel wichtiger geworden ist als beispielsweise noch in den 1980er oder 90er Jahren. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommt hinzu, dass sie sich heutzutage vermehrt in größeren Gruppen treffen. Und dann war die letzten beiden Jahre auch noch Pandemie. So haben sich im Jahr 2020 regelmäßig zum Wochenende hin bis zu 500 junge Wiesbadenerinnen und Wiesbadener zum geselligen Zusammensein im Kulturpark getroffen. Gleiches war im Jahr 2021 am Warmen Damm zu beobachten. Gerade junge Menschen brauchen Plätze bzw. Orte, an denen sie sich frei und selbstbestimmt treffen können, auch ohne Konsumzwang. Jugendliche lassen sich jedoch nicht an Orten platzieren, die als geeignet erklärt und ausgewiesen werden, sondern sie wählen ihre Treffpunkte selbst. Und das kann dann natürlich zu Konflikten führen. So wie in Wiesbaden im vergangenen Herbst am Warmen Damm, als es zu Polizeieinsätzen kam. Die Konflikte, die von der Landespolizei dokumentiert wurden, fanden meist innerhalb der Jugendgruppen und zwischen einzelnen Jugendlichen sowie nach Mitternacht statt. Es handelte sich um Auseinandersetzungen und Grenzüberschreitungen, die für das Alter charakteristisch sind. Es wurden Körperverletzungs- und Raubdelikte festgestellt sowie Verstöße gegen das Betäubungsmittelschutzgesetz. Die aufgenommenen Beleidigungen reichten von rassistischen und diskriminierenden Anfeindungen bis hin zu sexistischen verbalen Angriffen.
Konflikte verlangen nach tragfähigen Lösungen, welche sind das?
Zunächst einmal ist es sehr erfreulich, dass sich die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung dazu bekannt hat, der Jugend in unserer Stadt Raum zu geben. Wir wollen Freiräume sichern und haben hierfür mit Landespolizei und Ordnungsamt ein gemeinsames Rahmenkonzept erarbeitet, das wir dann auch mit Vertreter:innen der Jugendlichen selbst und weiteren zu beteiligenden Ämtern besprochen haben.
Die Abteilung Jugendarbeit des Amtes für Soziale Arbeit, das Ordnungsamt Wiesbaden und die Landespolizei stehen im engen Austausch, um die Lage direkt vor Ort vor- und nachbesprechen zu können. Durch diese Arbeitsgruppe wollen wir ressourcenorientiert und zeitnah auf aufkeimende Konflikte reagieren. Die unterschiedlichen Fachkräfte in der Arbeitsgruppe bringen ihre Erfahrungen ein und können somit Synergieeffekte nutzen.
Kern des Konzeptes ist es, den überwiegend friedlichen Jugendlichen ein gutes Beisammensein im öffentlichen Raum zu ermöglichen. Klar ist jedoch, dass wir nach dem Slogan „Stress den Stressern“ handeln werden. In dieser Hinsicht sind die Sicherheitsbehörden unverzichtbar.
Wir möchten durch das Rahmenkonzept den Jugendlichen einen Ort ermöglichen, an dem sie sich willkommen fühlen. Es werden mobile Toiletten, mehr Müllbehältnisse und Hinweisschilder mit zielgruppengerechter Ansprache installiert. Bei anhaltend starkem Besuch soll ein Awareness-Team vor Ort eingesetzt werden. Dieses Team ist dann Anlaufstelle für die jungen Menschen vor Ort, sollten diese Anliegen haben, die einer Unterstützung bedürfen.
Die Bildzeitung sprach im März durchaus positiv vom „betreuten Abhängen“. Welches Konzept steht dahinter?
Die Jugend benötigt eine Möglichkeit, sich selbstbestimmt im öffentlichen Raum versammeln und treffen zu können. Junge Menschen brauchen jedoch auch die ihnen zustehende Freiheit, sich nach eigenem Wunsch zu treffen. Dies bedeutet, dass eine dauerhafte Betreuung durch Fachkräfte nicht zwingend erforderlich und erwünscht ist. Wir möchten durch die Veränderung von Rahmenbedingungen und ein zurückhaltendes Angebot in Form eines Awareness– Teams ein „willkommen sein“ vermitteln und kein Gefühl der Kontrolle und Reglementierung erzeugen. Durch ein dezentes Auftreten vor Ort wird jedoch ein Sicherheitsgefühl bewirkt. Der Grundtenor des Bildartikels war in der Tat positiv, „betreutes Abhängen“ jedoch in typischer Manier zugespitzt.
Sind Jugendliche und junge Erwachsene in Ihre Konzepte eingebunden, übernehmen die beispielsweise Aufsichtspflichten oder sind Ansprechpartner*innen?
Das Konzept wurde in der Abteilung Jugendarbeit des Amtes für Soziale Arbeit entwickelt, mit Vertreter:innen aus dem Jugendparlament erörtert und auch weiteren Jugendlichen vorgestellt und mit ihnen gesprochen. Die beteiligten Jugendlichen begrüßen die darin beschriebene Herangehensweise des proaktiven Umgangs mit Jugendlichen im öffentlichen Raum. Ein Ansatz des Dialoges wird von ihnen als wert- und respektvoll empfunden.
Es handelt sich um eine lose und offene Gruppe von jungen, überwiegend gleichaltrigen Menschen, die sich am Warmen Damm treffen. Derzeit ist nicht geplant, dass Jugendliche selbst die Aufgabe von Ansprechpersonen übernehmen. Da es sich um ein Modellprojekt handelt, wollen wir dies perspektivisch jedoch nicht ausschließen; sollten junge Erwachsene den Wunsch äußern, sich zu engagieren, werden wir sie natürlich bei der Umsetzung unterstützen.
Welche Regeln, beispielsweise Uhrzeiten, gelten, welche städtischen Ämter agieren mit, gerade in Bezug auf Nachtruhe und Müllproblematik?
Angedacht ist, das Gelände am Schillerdenkmal / Warmen Damm in Kooperation zwischen Ordnungsamt, Polizei und Jugendarbeit bis 00.00 Uhr zu „betreuen“. Die Landespolizei, das Ordnungsamt und die Abteilung Jugendarbeit bzw. ein freier Träger stehen in dieser Zeit in gutem Austausch, um den jungen Menschen ein Treffen zu ermöglichen. Es gelten die allgemeinen Regeln der Nachtruhe und des Jugendschutzes. Das Grünflächenamt, die Entsorgungsbetriebe ELW, das Tiefbauamt, das Kulturamt, die Denkmalbehörde, das Staatstheater und die oben angeführten Behörden und Ämter arbeiten Hand in Hand, um die im Konzept angeführten Maßnahmen umsetzten zu können.
Die ELW wird zusätzliche Mülleimer aufstellen und den Ort regelmäßig reinigen. Das Grünflächenamt übernimmt diese Aufgaben in seinem Zuständigkeitsgebiet.
Wie reagieren Anwohner die sich einer Lärm- und Müllproblematik gegenüber stehen sehen?
Im vergangenen Jahr gab es unseres Wissens keine Anwohnerbeschwerden hinsichtlich der Treffen am Warmen Damm. In diesem Jahr ist das Thema noch nicht aufgetreten.
Müll ist natürlich immer ein Phänomen, welches auftritt, wenn sich größere Gruppen von Menschen treffen. Hier spielt das Alter nur eine marginale Rolle. Entstandener Müll muss entsorgt und die Plätze gereinigt werden. Es geht dabei nicht nur darum, den Müll junger Leute zu beseitigen, sondern ganz besonders auch darum, die Plätze und Parks einladend zu präsentierenauch für alle Bürger:innen von jung bis alt am Tag danach.