Eiszeit am Winterhafen
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Der Stadtrat in Mainz beschließt mit großer Mehrheit Jugendliche vom Winterhafen zu verdrängen. Dort ist es zu laut und es gibt zu viel Müll. Ist die Jugend wieder mal an allem schuld?
von Roman Widera, Marc Pandikow, Michael Süss
Am 6. April wurde mit Mehrheit aus CDU, Grün, SPD, AFD und FDP eine Änderung der Grünanlagensatzung beschlossen. Nun gilt zwischen 22 und 6 Uhr ein Verbot von Musik, egal ob Live oder vom Datenträger. Ein Glasverbot, nach der städtischen Gefahrenverordnung, steht noch zu Beschluss in der näheren Zukunft.
Mit dem beschlossenen Verbot ist das Vertrauen zwischen Mainzer Jugend und Stadt erheblich gestört. Folgt man der Ratssitzung (mainz. de/stadtrat-live), zeigt sich, dass es total schräge Maßnahmen sind, denen unbeholfene Rechtfertigungsversuche vor allem seitens des OBs folgten. Michael Ebling unterbindet die Debatte, indem er erklärt, dass das, was man hier mache, lediglich, ein „Bei Rot nicht gehen“-Schild an die rote Ampel zu hängen, sei.
Man muss sich den Ausgangspunkt der Problematik vor Augen halten. Der Winterhafen wird sicher seit 50 oder mehr Jahren gerne von der Mainzer Bevölkerung und vor allem der Jugend genutzt. Die Situation, was Müll und Lärm angeht, ist damit quasi alteingesessen. Zudem ist es öffentliches Gelände, sollte also uneingeschränkt zugänglich sein. Neuer hingegen sind die in etwa 120 Metern lebenden Bewohner, von denen sich einige wenige, nicht die Mehrheit, gestört fühlen. Als die Bebauung des Winterhafens in Gang war, war das größte Problem das KUZ. Damals betonte Bürgermeister Günter Beck (Grüne) den Bestandsschutz des KUZ mit all seinen Facetten. Frühere Besucher erinnern sich, dass der Biergarten bis tief in die Nacht geöffnet war. Heute geht es offiziell nur noch bis 22 Uhr.
Diskussion unerwünscht
Nur wenige sprachen sich in der Stadtratssitzung für eine konstruktive Politik aus, wie Dagmar Wolf-Rammensee (ÖDP): „Es fand überhaupt kein Dialog statt, keine Öffentlichkeit“. Martin Malcherek (Linke) berief sich auf die Beiträge der Bürger*innen, etwa in der Betonung des Fehlens von Gutachten zur Lage am Winterhafen. Also, war es überhaupt zu laut? Laut Malcherek ist die neue Satzung keine, die „die Nutzung von Grünanlagen regelt“, sondern: „Wir haben eine reine lex Winterhafen. Es geht einzig und allein darum in diesem Bereich für Ruhe zu sorgen, auf einer Datengrundlage, die wir nicht kennen.“ Und weiter: Statt eines rigorosen Verbotes, das „nicht zielführend“ sei, müsse ein „Interessensausgleich“ zwischen allen Nutzer*innen des Winterhafens stattfinden. Maurice Conrad (Piraten/Volt) stellt fest: „Die Kritik, die von Jugendorganisationen und zahlreichen jungen Menschen in Mainz kommt, ist doch relativ eindeutig. Der Prozess ist in dieser Form nicht beteiligend gewesen.“ Aber nicht nur Jugendverbände wurden ausgeschlossen von der Diskussion, auch der Ortsbeirat Altstadt Mainz wurde nicht gehört, gleichwohl die Mitglieder am 23. März ein 20 Punkte umfassendes Papier zur Lösungsfindung bereitstellten. Unter anderem mit den Fragen, warum explizit harmlose Spiele wie Wikinger-Schach verboten werden sollen oder warum die Stadt kein Müllkonzept erarbeitet hat und schließlich: Wohin mit 18.000 Altstadtbewohnern, wenn ihnen die Naherholung faktisch untersagt wird?
Auch wenn es eine Nachttanzdemo mit fast 500 Beteiligten gegen die Verbote gab: Die Stadt agiert weiter ohne Verständnis für Jugendliche und Studis, dafür aber mit Autorität. Schließlich gehören Jugendliche nicht zu der Wählerschicht, die Wahlen entscheidet. Man sah das sehr gut bei den Grünen, die im Bundestagswahlkampf den Fokus auf „mittelalt“ legten und damit zunehmend uninteressant waren für „Erstis“.