Trabert for President
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Der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert ist Kandidat der Linken für das Amt des Bundespräsidenten. Seine Chancen sind nicht hoch, dennoch hat er sich aufstellen lassen. Ein Interview mit einem Praktiker, der das Herz am rechten Fleck hat.
Interview Tom Albiez
STUZ: Herr Prof. Dr. Trabert, was hat Sie dazu bewegt, sich von den Linken für das Amt des Bundespräsidenten aufstellen zu lassen?
Gerhard Trabert: Die Möglichkeit, die Situation von Menschen, die ausgegrenzt, von Armut und sozialer Ungleichheit betroffen sind, im In- und Ausland, in die öffentliche und politische Debatte einbringen zu können.
Die soziale Ungerechtigkeit nimmt in diesem reichen Land immer mehr zu. Das soziale und gesundheitliche Versorgungsnetz wird immer grobmaschiger und durchlässiger.
Ich möchte als Fürsprecher für die Menschen auftreten, die viel zu wenig gehört und gesehen werden.
Sie haben zuletzt in der Bundestagswahl 2021 für das Direktmandat in Ihrem Wahlkreis kandidiert. Was war der ausschlaggebende Punkt, dass Sie sich nun verstärkt in die Politik begeben?
Schon im Bundestagswahlkampf war mein Hauptanliegen, die Themen soziale Gerechtigkeit sowie Flucht und Migration zu benennen. Diese Themen wären sonst kaum vorgekommen.
Und das hat sich auch nun, nach der Regierungsbildung und der Veröffentlichung des Ampel-Koalitionsvertrags nur wenig geändert. Trotz der hohen Inflationsrate, der steigenden Energie- und Lebensmittelpreise wurde zum Beispiel der Hartz IV-Satz um mickrige 3 Euro erhöht. Faktisch ist das eine Erniedrigung der Kaufkraft.
Sozial benachteiligte Menschen spielen also nach wie vor fast keine Rolle in der Politik. Die Lebensrealitäten der Betroffenen sind meilenweit von dem Leben der Mehrzahl der politisch Verantwortlichen entfernt, dadurch entsteht Distanz und oft auch Ignoranz. Auf diese Tatsachen möchte immer wieder hinweisen.
Sie haben sich den Themen Armutsbekämpfung und Wahrung der Menschenrechte verschrieben. Was stört Sie am meisten an der deutschen Politik?
Dass hauptsächlich die Interessen derjenigen vertreten werden, die eine Lobby haben. Und das sind meistens große Wirtschaftsunternehmen. Zu glauben, dass der „Trickle-down-Effekt“ funktioniert, dass also der Wohlstand der Reichsten einer Gesellschaft zunehmend auch den unteren Gesellschaftsschichten zu Gute kommen würde, ist ein Irrglaube. Zudem ist dieser Ansatz menschenverachtend.
Keine Lobby hingegen haben die, die an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt wurden: Menschen, die von Armut betroffen sind, Wohnungslose, Haftentlassene, Prostituierte, Alleinerziehende, Illegalisierte, Geflüchtete, Queere, Menschen mit Behinderung und viele andere. Die Gruppe dieser Menschen ist nicht gerade klein: Fast 16 Prozent der in Deutschland Lebenden gelten nach der EU-Definition als einkommensarm, das sind über 13 Millionen Menschen. Doch wer keine Lobby hat, dessen Bedürfnisse werden nicht gehört. Das darf doch nicht sein. Ich finde das beschämend für ein so reiches Land wie Deutschland. Das Geld ist da. Es ist nur an den falschen Stellen und wird ungerecht verteilt.
Sie prangern das Wegschauen beim Flüchtlingssterben an den EU-Außengrenzen an. Was glauben Sie, ist der Hauptgrund für dieses Wegschauen?
Auch hier stehen einfach wirtschaftliche Interessen weit vor den Menschenrechten. Einhergehend damit wurde der Diskurs in den letzten Jahren immer weiter nach rechts verschoben. Menschenrechte sind nicht mehr die Grundlage für unsere Diskussionen, sondern werden zur Debatte gestellt. Zum Beispiel wurde gefragt „Oder soll man es lassen?“, als es um die Rettung von Menschen, die in Seenot geraten sind, ging. Aktuell werden Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze als politisches Druckmittel benutzt. Diese Menschen, ganze Familien, erfrieren in europäischen Wäldern.
Menschenrechte und Wirtschaftsinteressen werden als gleichrangige Argumente in Diskussionen behandelt. Das ist ein riesiges Problem und das dürfen wir nicht weiter zulassen. Menschenrechte müssen immer unverhandelbar sein.
Welche Folgen wird es haben, wenn die soziale Ungleichheit global, insbesondere auch in der deutschen Gesellschaft weiter zunimmt? Was kann jeder Einzelne tun?
Wir sehen ja längst, wozu es führt: Die Schere zwischen Arm und Reich ist bereits so weit auseinandergedriftet, dass Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, wo es ihnen extrem schwer gemacht wird, Unterstützung zu bekommen und an einem sozialen Miteinander teilzuhaben. Dadurch werden Gespräche untereinander schwierig. Positionen verschärfen sich immer weiter und durch rechten Populismus wird langfristig unsere Demokratie gefährdet.
Jeder Mensch sollte bei sich selbst anfangen zu reflektieren, ob er privilegiert ist, welche finanziellen und personellen Ressourcen ihm zur Verfügung stehen und was er für andere tun kann.
Das ist der erste Schritt. Sobald klar ist, welche Möglichkeiten man selbst hat, kann man diese auch nutzen – indem man auf Ungerechtigkeiten aufmerksam macht, einzelne benachteiligte Menschen oder gesellschaftliche Bewegungen unterstützt, sich politisch einbringt oder ähnliches. Da sind der Phantasie fast keine Grenzen gesetzt. Wir brauchen eine Schulterschlussgesellschaft und keine Ellenbogengesellschaft.
Sie sind als Arzt und Sozialarbeiter Praktiker und haben somit hautnah mit den Bedürfnissen und Anliegen von ausgegrenzten Menschen zu tun. Damit sind Sie in der Politik eher ein Einzelfall. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
Das weiß ich nicht und ich finde es auch sehr schade. Es wäre sicherlich ein großer Gewinn für alle, wenn Politiker:innen näher an den Menschen wären und ihre Lebensrealitäten, Bedürfnisse und Sorgen kennen würden. Dies ist allerdings nur möglich, wenn ich den Dialog, das Gespräch mit den betroffenen Menschen authentisch suche, was viel zu selten geschieht.
Was würden Sie gerne Frank-Walter Steinmeier in einem persönlichen Gespräch auf den Weg geben?
„Mehr soziale Gerechtigkeit wagen“, in Anlehnung an die Aussage seines Parteigenossen Willy Brandt „Mehr Demokratie wagen“. Ein SPD-Politiker, der immer ein politisches Vorbild für mich war.
Soziale Gerechtigkeit ist das, woran es momentan leider mangelt und worauf es für ein friedliches, demokratisches Miteinander ankommt. Ein Bundespräsident darf – und sollte – das immer im Blick haben und sich dazu zu Wort melden.
In einem Satz formuliert: Welches gesellschaftliche Zusammenleben wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und die Menschen miteinander gleichwertig und gleichwürdig umgehen.