Kinder, macht den Mund auf!
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Immer wieder hört man von einer Überalterung der Chöre und von Problemen mit der Nachwuchsarbeit. Doch wie viel davon bekommt man tatsächlich in den Mainzer und Wiesbadener Chören zu spüren? Die Chorleiter wollen noch nicht von einer Krise sprechen.
von Julia Tischbirek
Natürlich sind gewisse Altersklassen in Chören mehr vertreten als andere“, berichtet Christoph Wermter, erster Vorsitzender der Mainzer Singakademie. Die Tendenz lasse sich überall beobachten. Gerade bei jungen Männern gelte Singen oft als uncool. Es werde einfach weniger in den klassischen Formen musiziert und viele der jüngeren Generationen würden das klassische Repertoire gar nicht kennen. Die Vermittlung von Musik, die kein Mainstream ist, wird somit schwierig.
Nachwuchs gesucht
Daher wirbt er dafür, neue Formen zu finden, um die jungen Leute zu motivieren. So kann man mit den Ensembles an die Schulen gehen und zum Mitmachen werben. „Singen ist eine Form der Kommunikation und verbindet uns miteinander“, betont Wermter und ergänzt: „Unsere Gesellschaft darf die Musik nicht verlieren.“
Ähnliche Befürchtungen hat auch Niklas Sikner, Kantor der Lutherkirche Wiesbaden. Wenn ein Chor erstmal überaltert ist, sei es schwierig, wieder jüngere Mitglieder anzulocken. Meist müsse man aktiv auf die Kinder zugehen, um bei ihnen die Begeisterung fürs Singen zu wecken. Die Nachwuchsarbeit der evangelischen Singakademie Wiesbaden funktioniere allerdings gut, wenn auch durch die Pandemie ungefähr 5 Prozent der Mitglieder aus der evangelischen Singakademie und dem Bachchor Wiesbaden ausgeschieden seien. Weitere 20 Prozent pausieren momentan.
Gerd Rixmann, künstlerischer Leiter der Crazy Girls und des Frauenchors enCHORe in Wiesbaden, betont, man könne keine allgemeine Aussage treffen, dass weniger junge Leute den Wunsch verspürten, zu singen. Es komme immer auf die Struktur der Chöre an. So gebe es heute mehr junge Leute, die sich modernen Musikströmungen widmen. Alte Vereinschöre oder kleine Kirchenchöre hätten hingegen weniger Raum in unserer Gesellschaft. So gebe es immer wieder Versuche, solche Chöre zusammenzulegen, damit diese sich nicht ganz auflösen müssen.
Begegnung als Schlüssel
Die Mädchenchöre hat während der Pandemie das Angebot von Onlineproben gerettet, um im Kontakt zu bleiben und Austritten entgegenzuwirken. Doch auch hier liegt der Mitgliederschwund bei circa 20 Prozent. „Für viele ist eben nicht nur das Singen wichtig, sondern auch die Begegnung“, erklärt Rixmann: „Fällt der soziale Aspekt weg, springen viele ab.“
Während der Pandemie fehlte vor allem die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Auch konnten die Mädchenchöre keine Werbung an Schulen machen, was entscheidend sei. Über Facebook und Instagram könne man nicht so viele neue Mitglieder rekrutieren.
Auch der Bachchor Mainz sieht die Notwendigkeit für gute Jugendarbeit. „Musik soll nicht mit unserer Generation aussterben“, so Melanie Leising. Der Bachchor hat das Glück, dass der künstlerische Leiter Ralf Otto an der Mainzer Hochschule für Musik tätig ist und junge Leute heranholen kann. Außerdem werden Projekte mit den Landesjugendchören Rheinland-Pfalz angestrebt und Schulprojekte wie „Mittendrin, statt nur dabei“ laufen bereits. Bei letzterem nehmen die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen zwischen den Sängerinnen und Sängern im Chor Platz und erleben so die Musik hautnah.
Kirchenmusik in der Krise
Früher habe die Kirchenmusik noch einen größeren Stellenwert in der Bevölkerung gehabt, berichtet Henrik Schlitt, Leiter von drei Chören in Mainz. Sein katholischer Kirchenchor an der St. Alban Kirche wird sich wohl auflösen müssen. „Heute besteht nicht mehr so eine starke Gemeindebindung wie früher. Die Frage ist natürlich auch, ob man im Kirchenchor mitsingt, wenn man nicht religiös ist“, überlegt der Chorleiter. Die Kirchenchöre bestünden oft aus einer Kernbesetzung, die gemeinsam alt wird. Für junge Mitglieder gäbe es andere Anlaufstellen wie den Uni-Chor. Was die Nachwuchsrekrutierung angeht, herrsche dadurch natürlich auch eine Art Konkurrenzkampf zwischen den Institutionen. Der Wunsch zu singen, sei jedoch immer noch da, nur sicherlich unter anderen Rahmenbedingungen als früher.
Das Bild zeigt: voces cantantes, Mainzer Singakademie
Foto von Hans Peter Mathey