Von Mainz aufs Mittelmeer
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Die deutsche NGO Resqship ist seit Monaten mit eigenem Schiff auf dem Mittelmeer unterwegs. Mehr als 100 Menschen haben sie in diesem Jahr vor dem Tod auf offener See gerettet. STUZ hat mit Levi und Tobi, zwei Mitglieder der Mainzer Ortsgruppe, die beide mehr als 3 Monate auf dem Mittelmeer waren, gesprochen. Levi befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews noch an Bord des Beobachtungsschiffes „Nadir“ im Hafen von Lampedusa.
Interview Luca Bartolotta
STUZ: Hallo Levi, hallo Tobi! Steigen wir direkt ein. Wie habt Ihr die Wochen an Bord erlebt? Gibt es eine Erinnerung, die euch besonders geblieben ist?
Levi: In Erinnerung wird mir der Jubel unserer Gäste bleiben, als wir nach Lampedusa einlaufen durften. Mir war in dem Moment mulmig zu Mute: Manchen von ihnen war vermutlich nicht klar, dass sie noch nicht am Ziel ihrer Reise waren. Der europäische Kontinent würde sie mit Behördengängen, institutionalisiertem Rassismus und manche auch mit Abschiebung ‘willkommen‘ heißen.
Tobi: Was ich nie vergessen werde, war auf Mission vier: Der drei Monate alte Säugling, den wir an Bord genommen hatten, der ziemlich apathisch wirkte, offensichtlich auch dehydriert war. Seine Nuckelflasche war nicht mehr auffindbar, wir haben dann aus einem Untersuchungshandschuh ein Provisorium gebastelt, aber er wollte einfach nicht trinken. Nach Stunden des Versuchens hat er dann fast den gesamten Handschuh leer genuckelt.
In welchem Zustand kommen Geflüchtete zu Euch an Bord? Gibt es auch gesundheitliche Beeinträchtigungen, die auf die Zeit auf dem Festland zurückzuführen sind?
T: Die Menschen sind teilweise schon Tage lang auf viel zu kleinen, offenen Booten, die keinerlei Schutz vor Sonne, Wellen und Wetter bieten, auf dem Meer unterwegs. Bei nächtlichen Rettungen kommt es durch den Abfall der Temperaturen und durch Nässe oft zu Unterkühlungen. Je nach individueller Konstitution, kann das bis zur Bewusstlosigkeit führen. Ebenso sind auch Narben und physische Deformationen, die auf systematische Gewalteinwirkung, also Folter rückschließen lassen, sichtbar. Die seelischen und psychischen Verletzungen kann man nur erahnen.
Was konkret muss sich in der Flüchtlingspolitik aus Eurer Sicht ändern, damit Ihr nachts besser schlafen könnt?
T: In einem ersten Schritt muss Frontex abgeschafft und die finanzielle und materielle Unterstützung der sogenannten Lybischen Küstenwache sofort eingestellt werden. Gleichzeitig muss sich die Europäische Union auf einen solidarischen Verteilungsmechanismus für Geflüchtete Menschen einigen, damit die ganze Verantwortung nicht nur auf den Mittelmeeranrainerstaaten und den Staaten an der östlichen EU-Außengrenze liegt. Da eine gemeinsame europäische Lösung zurzeit politisch nicht machbar ist, müssen Staaten, die grundsätzlich dazu bereit sind, unabhängig von den anderen Ländern anfangen, Verantwortung zu übernehmen. Dazu zählt auch Deutschland!
L: Es ist nicht so, dass die europäischen Staaten darin scheitern, ihrer Pflicht zur Seenotrettung nachkommen. Sie sind ganz im Gegenteil sehr erfolgreich darin, ihre Policy durchzusetzen: Menschen auf dem Weg nach Europa sterben zu lassen. Das ist das Ziel. Ansonsten sähen die staatlichen Bemühungen zur Seenotrettung anders aus.
Ihr wart nun beide mehrfach auf See, was hat Euch dazu bewogen, von Mainz aufs Mittelmeer zu fahren?
L: Als Teil der Mainzer Lokalgruppe von RESQSHIP ist mir das Thema zivile Seenotrettung seit 2017 ein wichtiges Anliegen. Medial ist es nicht mehr so präsent, aber auch in 2021 sind bislang mehr als 1.500 Menschen auf dem gefährlichen Weg über das Mittelmeer gestorben, weil Staaten ihrer völkerrechtlich verankerten Pflicht zur Seenotrettung nicht nachkommen wollen. Das kann eine Zivilgesellschaft nicht einfach so hinnehmen.
T: Ich verfolge die sich stetig verschlechternde Situation für flüchtende Menschen auf dem Mittelmeer relativ intensiv seit 2016 und habe 2018 von RESQSHIP erfahren, mich dann auch vor allem in der politischen- und Öffentlichkeitsarbeit in deren Mainzer Ortsgruppe engagiert. Für mich war klar, dass ich, sobald wir ein Schiff haben, vor Ort aktiv sein werde. Das war dann 2019 zum ersten Mal der Fall.
Was macht Ihr normalerweise, wenn Ihr nicht gerade auf eurem Beobachtungsschiff „Nadir“ seid?
T: Dieses Jahr habe ich mich zum großen Teil in verschiedenen Projekten in Serbien und Bosnien als Medic beteiligt. Von Haus aus bin examinierter Altenpfleger und arbeite seit September auch wieder in dem Bereich und zudem engagiere ich mich bei der Seebrücke und Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.
L: Ich habe meinen Bachelor in Mainz gemacht und studiere mittlerweile im Master in Frankfurt.
Wann ist die nächste Mission? Geht es bald wieder raus für Euch?
T: Anfang November wird die siebte und letzte Mission für dieses Jahr rausfahren. Über die Wintermonate ist das Wetter für unser relativ kleines Schiff einfach zu schlecht. Ich selbst werde auf jeden Fall ab den Sommermonaten im nächsten Jahr wieder für mehrere Missionen zur Verfügung stehen.
L: Genau, die nächste, siebte Mission von RESQSHIP in diesem Kalenderjahr sollte Ende Oktober auslaufen. Durch die zweimalige Quarantäne der sechsten Mission, verzögert sich das. Ich persönlich werde dieses Jahr nicht mehr auf dem Mittelmeer sein.
Bild: Elena Kloppmann