Mama, ich muss dir was sagen
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In „Zettelweise“ erzählen Christine Stahl und Nora Koschel von Sprachlosigkeit und Entfremdung. Man braucht nur seinen Körper, um zu kommunizieren. Premiere des dialoglosen Theaterstücks war am 19. Oktober im Marleen, Wiesbaden.
Weiße Eimer, pinke Tücher, grüne Wörterbücher. Mehr braucht das Bühnenbild im Wiesbadener Marleen nicht, um Christine Stahl und Nora Koschel ihre Geschichte erzählen zu lassen. Sie sprechen mit ihren Körpern. Dialoge kennt das Theaterstück „Zettelweise“ nicht. In der Premiere am 19. Oktober geht um die Sprachlosigkeit zwischen Mutter und Tochter, die in ihrem Alltag gefangen sind. Zwei gebrochene Menschen, die nicht mehr miteinander reden können und über Zettel und Anrufbeantworter kommunizieren. Sie stehen nebeneinander auf der Bühne und sind doch in unterschiedlichen Welten. Man hört sie beide Schluchzen, doch jede weint für sich allein.
Die Bewegungen von Mutter Judith sind fließend, sie ist in sich gekehrt und zehrt von ihren Träumen. Doch es sind immer die gleichen Bewegungen. Repetitiv geht sie dem Leben nach, ohne sich von ihren Zwängen lösen zu können. Die Frage ihrer Tochter Mara, „Mama, wann hast Du Zeit? Ich muss dir was sagen“, verhallt in der Stille. Was bringt einem ein Wörterbuch mit allem Wissen über die Sprache, wenn man nicht weiß, was man sagen soll? Mara wird zunehmend verzweifelter. Sie braucht ihre Mutter, doch erreicht sie nicht. Sie möchte raus aus ihrem Körper, doch ist eine Gefangene ihrer selbst.
Je stärker Mara unter der Sprachlosigkeit ihrer Mutter leidet, desto mehr gibt sie die Hoffnung auf Nähe auf. „Wann haben wir damit aufgehört und warum?“ Eine Frage, die sich durch das Theaterstück zieht, doch unbeantwortet bleibt. Probleme nicht zu Sprache bringen zu können scheint für so vieles zu stehen, was uns täglich im Weg steht. Der Applaus des Publikums ist begeistert, doch auch erleichtert. Zu sehr erkannte man sich selbst in der beklemmenden Sprachlosigkeit, welche Nora Koschel und Christine Stahl schufen.
Das Duo
Christine Stahl und Nora Koschel erzählen mit „Zettelweise“ eine Geschichte über den Körper. Beide setzen sich beruflich stark mit den körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten auseinander. „Wir wollten bewusst weg von dem klassischen Erzähltheater“, berichtet Nora Koschel und ergänzt: „Was Figuren denken, lässt sich auch in Bewegungen zeigen.“ Und die Bewegungen des Duos sind genau aufeinander abgestimmt. Selbst in einem Stück, in dem die Protagonistinnen sich meist den Rücken zuwenden. Da beide zugleich Schauspielerin und Regisseurin sind, konnten sie beim Einstudieren ihres Werkes ständig den Blickwinkel wechseln. Mal standen sie auf der Bühne, mal sahen sie ihr Schauspiel aus der Sicht des Zuschauers. Die beiden haben ihr Stück von Grund auf selbst aufgebaut und auf sich abgestimmt. Nicht nur die Eimer und Wörterbücher mussten sie selbst organisieren, wie Christine Stahl erzählt. Auch die Musik wurde von Nora Koschel und ihrem Freund eigens für das Werk komponiert. Auf die Frage, wie es jetzt mit ihnen weiter geht, lacht Christine Stahl: „Wir wollen bis nach LA.“ Der gesunde Optimismus und die Leichtigkeit mit dem das Duo in die Zukunft blickt, wirkt nicht aufgesetzt. Als nächstes steht nun aber erstmal Trier auf dem Programm.