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Gesellschaft Mainz

Frau in Anzug gleich Mann mit Arbeit

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Eine Frau nimmt im Mainz der 1920er Jahre die Identität ihres Mannes an, um ihre Familie ernähren zu können. Ein Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der Maria Einsmann.

von Philipp Wohltmann

Solange Arbeit von Frauen geringer bezahlt und als weniger wert wahrgenommen wird, müssen sich Frauen wohl weiter individuelle Strategien überlegen, um das zu kompensieren, beklagt Eva Weickert vom Frauenbüro Mainz im Dokumentarfilm „Frau Vater“ über das Leben Maria Einsmanns. Ist das die Message, die wir aus dem Leben der Maria Einsmann noch bis ins Heute mitnehmen können?

Krieg und Frieden

Einsmann lebte mit ihrem Ehemann in Bruchsal. Während Maria Einsmann in einer Munitionsfabrik zu arbeiten begann, wurde ihr Mann im Laufe des Ersten Weltkriegs als Soldat eingezogen. Frauen schmissen in der Kriegszeit die deutsche Wirtschaft, auch die Rüstungswirtschaft. Als der Krieg vorüber war, kamen nach und nach die Männer in ihre Heimaten zurück. Gleichzeitig stand die Demobilmachung bevor – also der Umbau der Kriegs- in eine Friedenswirtschaft. In dieser Umbauphase sollten zuerst die heimkehrenden Männer Arbeit erhalten. Der hessische Staatsminister für wirtschaftliche Demobilmachung drückte das folgendermaßen aus: „Deshalb fordert heute die Pflicht von jeder Frau – welchen Beruf sie auch haben mag – ihren Platz den Heimkehrenden und den aus Rüstungsbetrieben zurückkommenden Männern einzuräumen. Haben die Frauen zu Beginn und während des Krieges ihre Pflichten erkannt, so erwartet die Heimat von ihnen, daß sie es auch heute tun.“

Neues Leben in Mainz

Für die Frauen hieß das: Zurück an den Herd oder in eine Arbeit, von der sie nicht leben konnten. Für Maria Einsmann und ihre Freundin Helene Müller war das 1919 kein Grund, sich unterkriegen zu lassen und sich ihren despotischen Ehemännern unterzuordnen. Beide ließen sich scheiden, verließen Bruchsal und kamen über Umwege nach Mainz. Doch auch hier fanden die beiden keine Arbeit, mit der sie für ihren Unterhalt und den von Helene Müllers Baby aufkommen konnten. Dafür musste Maria Einsmann erst zum Mann werden. Sie hatte einen Anzug ihres Ex-Mannes Josef mitgenommen und darin seine Papiere entdeckt. Nach einem optischen Makeover bewarb sie sich als Joseph Einsmann und wurde schnell fündig beim Fuhrpark der in Mainz stationierten französischen Truppenteile.

Jahrelang lebte Maria alias Josef Einsmann ein schulbuchmäßiges Männerleben: Sie engagierte sich als Gewerkschafterin, ging Skatspielen in der Kneipe, zum Singen in den Gesangsverein und ihre Kollegen auf der Arbeit riefen sie „Seppel“. Sogar die Vaterrolle für die zwei Kinder von Helene Müller nahm Maria als Josef Einsmann an. Mit den Papieren ihres Ex-Mannes ließ sie sich offiziell als Vater eintragen.

Ein Unfall und die Folgen

Doch dann – nach zwölf Jahren des Lebens als Mann – verletzte Josef „Seppel“ Einsmann sich bei einem Betriebsunfall. Bei der Beantragung der Rente fiel dem Versicherungsamt in Berlin auf: Josef Einsmann gab es zweimal. Auf einen Schlag war das ruhige Leben der Familie vorüber. Medien aus dem In- und Ausland stürzten sich auf den Fall, betitelten Maria Einsmann als die „Mann-Frau“, „Frau Vater“ oder „die Frau in Männerkleidern“. An dieser Stelle zeigt der Dokumentarfilm „Frau Vater“ der Journalistin und Filmemacherin Barbara Trottnow aus Klein-Winternheim viele historische Zeitungsausschnitte aus den Dreißigerjahren. Die meisten bescheinigen der Leistung von Maria Einsmann Mut und Hochachtung. Einsmann und Helene Müller kamen vor Gericht und wurden wegen Kindesunterschiebung zu kurzen Gefängnisstrafen auf Bewährung verurteilt. Doch Einsmanns und Müllers Kampf war nicht umsonst: Nach dem Prozess durfte Maria Einsmann in ihrem Job weiterarbeiten. Die beiden lebten bis zu Maria Einsmanns Tod im Jahr 1959 gemeinsam in der Leibnizstraße.

Filmreifes Leben

Der Dokumentarfilm arbeitet die Geschichte von Maria Einsmann und Helene Müller mit historischen Dokumenten und drei Interviewpartnerinnen auf und nutzt dabei auch Szenen aus dem ebenfalls von Barbara Trottnow produzierten Spielfilm „Katharina oder: die Kunst Arbeit zu finden“ von 1995. Darin verfilmte Trottnow ein Drehbuch der auch aus Mainz stammenden Schriftstellerin Anna Seghers, das wahrscheinlich auf die Geschichte der in der Maria Einsmann zurückgeht. Auf der Leinwand zu sehen ist der Dokumentarfilm am 26. Oktober im Capitol. Weitere Kinoveranstaltungen sind geplant. Wer die Kinoveranstaltung verpasst hat und die nächste Veranstaltung nicht abwarten möchte, hat die Möglichkeit „Frau Vater“ auf Vimeo für 48 Stunden auszuleihen.

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