Are you depp or what?
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Für STUZ-Autor Stephan Kraatz gilt: Corona hat auch vor seiner Trauminsel Bali nicht Halt gemacht. Da Inlandsflüge im Reich der 17.000 Inseln erlaub sind, wagt er sich ins östlich gelegene Timor.
Von Stephan Kraatz
Die Frau im balinesischen Büro von Lionair schaut mich mit großen Augen an. Wieso ich einen Corona-Rapid-Test in Timor machen wolle? Ich solle das hier erledigen, der sei schließlich zwei Wochen gültig. So kann ich nach den geplanten vier Tagen Aufenthalt gemütlich zurückkommen. Also buche ich eine Woche vor Abflug die Passage von Denpasar nach Kupang und zurück. Zwei Tage vor Abflug absolviere ich den verlangten Rapidtest.
Viel mehr als das Timor am östlichsten Zipfel der kleinen Sundainseln liegt, weiß ich nicht von meinem Ziel. Im Gegensatz zum überwiegend moslemischen Indonesien dominieren auf Timor Katholiken. Timor ist eine geteilte Insel mit einem indonesischen Teil und dem 2001 kriegerisch abgespaltenen, souveränen Staat Osttimor. Der indonesische Teil gehört der Region Ost-Nusa Tenggara an, zu denen auch die Inseln Flores, Rote und Sumba gehören. Flores ist vor allem wegen seiner Komodowarane, nach Bali die zweitbekannteste Attraktion Indonesiens.
Rapid-Test, PCR-Test und Timoresk
Balis internationaler Flughafen wirkt wie ausgestorben. Auch das Flugzeug ist halbleer. Nach rund 90 Minutem lande ich in Kupang, der Hauptstadt des indonesischen Teils von Timor. Mit meinem Rapidtest bin ich in Minutenschnelle auf timoresischem Boden und der Transfer ins Hotel läuft reibungslos. Dort angekommen macht mich der deutsche Hotelier darauf aufmerksam, dass es für die Wiedereinreise in Bali Änderungen gibt. Ich checke ein und denke, das lässt sich auch noch morgen erledigen.
Bevor ich am nächsten Tag ins Landesinnere aufbreche, stoppe ich noch schnell an der großen Privatklinik. Der seit gestern nach neuem Dekret verlangte Corona-PCR-Test wird nur hier angeboten. Mein Rapid-Test ist also unbrauchbar. Der voll vermummte Pförtner erklärt mir, der PCR-Test sei drei Tage gültig. Innerhalb dieses Zeitraums muss ich auf Bali einreisen. Allerdings vergisst er zu erwähnen, dass ich das Ergebnis erst nach drei Tagen erhalte. Nichts ahnend starte ich den Trip durch die mir unbekannte Insel. Kupang lockert sich in der Bebauung schnell auf und gleicht einer typischen mittelgroßen Tropenstadt.
Das Timors Fläche die von Bali um das etwa Fünffache übertrifft, ist mir schon beim kurzen Blick auf die Landkarte aufgefallen. Bemerkenswert ist die landschaftliche Vielfalt auf meiner etwa sechsstündigen Fahrt quer durch die Insel. Zuerst sehe ich rechts und links mitteleuropäisch anmutenden Mischwald vorbeifliegen. Dann eröffnet sich der Blick auf kilometerlange Steilküsten mit blendend weißen und menschenleeren Sandstränden. Aus einer Palmenschonung kommend öffnet sich der Blick auf ein riesiges Hochplateau, dessen Enden kaum auszumachen sind. Flache Reisfelder so weit das Auge reicht.
Die Aufenthaltsverlängerung kündigt sich an
Nach meiner Überlandtour komme ich am Vorabend meines Rückflugs wieder im Hotel an. Mein Flug soll am nächsten Tag um die Mittagszeit starten. Andere Hotelgäste, die von der Nachbarinsel Rote kommen, fliegen ebenfalls. Sie sagen, mit ihrem Rapid-Test sei das kein Problem. Ich denke, vielleicht weiß ich etwas, das sie noch nicht wissen. Am nächsten Morgen bringt mich mein Hotelier zum Flughafen. Dort bescheiden mir die Kontrolleure, dass ich ohne PCR-Test nicht nach Bali fliegen darf. Mein Hotelier telefoniert und versucht etwas in Erfahrung zu bringen. Nach einem aus tiefstem Herzen kommenden „Are you depp or what?“ gibt er auf und knallt das Telefon auf den Tisch.
Während ich noch grüble, sehe ich einige der anderen Hotelgäste problemlos passieren. Ich habe keine Ahnung, warum die fliegen dürfen und ich nicht. Also fahre ich wieder zur Privatklinik in Kupang. Der Pförtner erklärt mir, dass der Test erst wieder in drei Tagen verfügbar ist. Dafür sei er jetzt aber doppelt so teuer.
Eine Panoramatour und eine Perspektive
Ich beratschlage mich mit dem Hotelier. Da alle seine Übernachtungsgäste problemlos nach Bali reisen konnten, bin ich der einzige Verbliebene Hotelgast. So fahre ich in die Stadt und storniere den Flug. Dort wird mir mitgeteilt, dass ich nur unter Vorlage eines gültigen PCR-Tests ein neues Ticket buchen kann.
Mein Hotelier schlägt mir dafür vor, mich ein bisschen herumzufahren und mir Kupang zu zeigen. Tempel und Straßenschmuck wie auf Bali gibt es nicht. Aber kleine steinerne Friedhöfe. Wir halten an und ich lese einige Inschriften. Die Älteste stammt von 1834 und trägt einen holländisch klingenden Namen. In der Stadt fällt mir auf, dass alles, was nicht betrieben wird, kaputt ist. Gärten, Gebäude, Statuen, Straßen, Umfriedungen. In diesem Moment erinnere ich mich an die unzähligen Kirchenbauten, die ich auf meiner Überlandtour am Straßenrand gesehen habe. Meist Holzkonstruktionen im architektonischen Stil der Notre Dame und offensichtlich Bauruinen seit vielen Jahren. Viele katholische Gemeinden haben für ihre Gottesdienste eine Behelfsbaracke errichtet.
Am nächsten Tag fahre ich in der Hoffnung auf neue Informationen ins Stadtbüro der Garuda Airlines. Tatsächlich klären sie mich auf, warum andere nur mit Rapid-Test nach Bali reisen dürfen. Da sie von der Nachbarinsel Rote kommen, gelten sie als Transitpassagiere. Freundlicherweise geben sie mir die Telefonnummer eines Timoresen, der Leute für einen PCR-Test zusammensucht. Im Rahmen eines staatlichen Programms dauert das Ergebnis nur zwölf Stunden und der Test kostet nichts. Allerdings müssen acht Leute gleichzeitig teilnehmen.
Der gelobte PCR-Test rollt an
Ich überlege, ob ich vielleicht mit einer Fähre nach Rote übersetze und von dort meinen Flug buche. Dann telefoniere ich mit dem Timoresen. Er sagt, fünf Leute hat er schon zusammen und morgen, spätestens übermorgen, können wir den PCR-Test hinbekommen. Ich kalkuliere: Drei Tage bis zum Testergebnis, einen weiteren für die Buchung. Die Kosten für Unterkunft und Verköstigung decken sich ziemlich genau mit den Testkosten in der Privatklinik. Ich setze auf sein Engagement.
Zwei Tage später ist es soweit. Wir treffen uns am Hintereingang der Klinik, an der jeder Eingang wie ein Hintereingang wirkt. Dort steht ein kleines Büdchen, dass so aussieht, als gäbe es Hotdogs. Aus den acht Personen sind ungefähr zwanzig geworden. Außer indonesisch und timoresisch wird hier nichts gesprochen. Nach etwa drei Stunden steckt mir eine freundliche Krankenhauskraft ein Wattestäbchen tief in beide Nasenlöcher und in den Rachen. Am folgenden kann ich den Test abholen.
Mit dem Testbericht in der Hand steuere ich auf die Airline zu. Anstandslos buche ich für den Folgetag meinen Rückflug nach Bali. Am nächsten Morgen bringt mich der Hotelier zum Flughafen. Ich wundere mich, dass ich meinen Flug nicht auf der Anzeigetafel entdecke. Am Schalter erfahre ich, dass er auf den nächsten Tag verschoben ist. Als ich 24 Stunden später einsteige, gehen mir viele Gedanken durch den Sinn. Einer kristallisiert sich heraus: Wie schön wieder nach Hause nach Bali zu kommen.
Die indonesische Impfstrategie …
… setzt andere Prioritäten als die meisten Staaten. Zuerst wird die arbeitende Bevölkerung geimpft. Der Multiplikationsfaktor steht im Mittelpunkt. Personen mit vielen Kontakten erhalten zuerst ihre Impfung. Arbeitende im Gesundheitswesen, im Grundversorgungsgewerbe wie den Super- und Lebensmittelmärkten, Beamte mit Publikumsverkehr, Kindergärtner und Lehrer sowie Bahn-, Bus- und Taxifahrer stehen an erster Stelle. Das Wiederbeleben der Wirtschaft steht nicht, wie in einigen deutschen Medien kolportiert, im Vordergrund.
WTF
Die Zahlen am 21.02.2021
Indonesien: 270 Mio. Einwohner, 1.271.353 Coronainfektionen, 34.316 Verstorbene
Bali: 4,2 Mio. Einwohner, 30.547 Coronainfektionen, 576 Verstorbene
Timor 1,9 Mio. Einwohner, 7.387 Coronainfektionen, 187 Verstorbene*
Deutschland 80 Mio. Einwohner, 2.459.326 Coronainfektionen, 67.784 Verstorbene
*(Zahlen des Regierungsbezirks NTT, zu dem auch die Inseln Flores, Rote & Sumba zählen)