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Tiere

Ein Hauch Nordsee

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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 8: Die Lachmöwe

von Konstantin Mahlow

Maritimes Flair mitten in Mainz. Mit dem Slogan wurden Gutbetuchte erfolgreich in das neue Quartier am Zollhafen gelockt: Leben wie im Hamburger Hafen und das hunderte Kilometer entfernt vom Meer. Dass man sich zuweilen tatsächlich wie an der Küste fühlen kann, hat allerdings weniger mit den Neubauten zu tun. Dafür sorgen vielmehr die holländischen Frachter, der kleine Yachthafen und das allgegenwärtige Gekreische hungriger Lachmöwen, wie man es sonst nur vom Urlaub an der Nordsee kennt. Im Gegensatz zu ihren Verwandten im Norden, trauen sich die Möwen am Rhein bisher zwar noch nicht, ahnungslosen Passanten das Fleischwurstbrötchen aus der Hand zu reißen. Doch menschliche Nahrung bildet dank großzügiger Brotspenden auch hier einen immer größeren Teil ihres Speiseplans.

Dabei rät die Stadt davon ab, Wasservögel wie Enten, Schwäne und Möwen zu füttern. Auf der Homepage der Stadtverwaltung sind gleich acht Punkte aufgelistet, warum man das besser nicht tun sollte. Das Brot ist nicht nur für die Vögel ungesund, es belastet auch das Ökosystem, sorgt für starken Algenwachstum und entzieht dem Gewässer Sauerstoff. Doch sowohl Mensch als auch Möwe scheint das nicht besonders zu scheren. Im Gegenteil: An den bekannten Stellen, etwa am Kaisertor oder an der Caponniere, ist die Möwenfütterung gerade im Winter ein alltägliches Highlight. Und die Lachmöwe (Chroicocephalus ridibundus) weiß das nur zu gut. Hat ein kleiner Trupp der Schreihälse eine potenzielle Futterquelle respektive Mensch mit Brottüte in der Hand entdeckt, dauert es nur Sekunden, bis aus beiden Stromrichtungen dutzende weitere Möwen angeflogen kommen. Genau wie in Barcelona oder Brighton entzücken sie die Essensspender damit, wie sie Brotstücke elegant im Flug fangen und dabei scheinbar ihre Angst vor der fütternden Hand verlieren.

Die Lachmöwe ist mit einer Flügelspannweite von unter einem Meter die kleinste in Mitteleuropa brütende Möwenart. Im Gegensatz zu den vergleichsweise gigantisch wirkenden Silbermöwen, ist sie mehr an das Leben im Binnenland angepasst und an großen Flüssen wie dem Rhein schon immer heimisch. Von den 24 verschiedenen Möwenarten, die im Laufe des Jahres den Inselrhein besuchen, ist sie mit einem Anteil von 95 Prozent die mit Abstand häufigste. Während sie im Sommer in kleineren Gruppen auftaucht, explodiert ihre Zahl in den Wintermonaten. Schlafplätze mit mehreren tausend Lachmöwen sind von Oktober bis März keine Seltenheit mehr – in Mainz zum Beispiel auf den Pfeilern der Theodor-Heuss-Brücke. Bis zu 30.000 Vögel verbringen die kalte Jahreszeit im STUZ-Gebiet. Sie ernähren sich vor allem von Regenwürmern, Krebstieren, kleinen Fischen, Insekten, Pflanzensamen und – leider – Brot. Von anderen Möwen, die aus Richtung Nordsee immer häufiger am Inselrhein auftauchen, ist die Lachmöwe meistens schon durch ihre geringe Größe und elegante Gestalt zu unterscheiden. Silbermöwen etwa, die als klassische Hafenmöwen bekannt sind, werden gut doppelt so groß und dreimal so schwer. Die ornithologische Herausforderung besteht eher darin, die verschiedenen Federkleider der Lachmöwe zu bestimmen, die sie im Laufe des Jahres und ihres Lebens annimmt. Am häufigsten zu sehen ist das sogenannte Winterkleid, in dem der Bereich um Augen und Ohren diffus schwarz mit einem kleinen Fleck gefärbt ist. Auch die Spitze des Schnabels färbt sich dann schwarz. Im Sommer tragen adulte Tiere ihr Prachtkleid mit einem komplett schwarzbraun gefärbten Kopf und rotem Schnabel. Das Jugendkleid wiederum erscheint mit Sandfarben verschmutzt, der Schnabel ist rosa bis orange.

Da ist es gut zu wissen, dass die regelmäßigen Leser dieser Kolumne bereits in der Vergangenheit ihre Fähigkeiten zur Vogelbestimmung trainieren konnten (Ausgabe Dezember/Januar). Doch die quicklebendigen Lachmöwen machen nicht nur Freude, wenn man sie beobachtet – sie können derweil auch für emotionale Momente sorgen. Bis heute erzählt man sich in der Mainzer Taunusstraße die Geschichte der jungen Möwe, die im Winter zu lange auf der Treppe stand und schließlich am Boden einfror. Als ein spontaner Flashmob von Nachbarn sie nach Stunden befreien konnte, flog nicht nur die Möwe davon, es flossen auch reichlich Tränen. Sie gehört zum Rhein nun mal dazu wie die holländischen Schiffe, unsere Lachmöwe. Aber bitte nicht füttern!

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