Von Bierzapfen und Coronatesten
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Die Mainzer Kultkneipe Zur Andau musste im November dicht machen und lebt doch weiter. Als Corona-Testzentrum. Unser Autor zapft dort eigentlich Bier, heute macht er Nasenabstriche und berichtet vom ganz normalen Corona-Alltag.
Von Jonas Julino
1. November 2020: Lang ist’s her – damals flossen in der Andau letztmals Bier und Wein. Dort wo ich normalerweise meinen Lebensstil finanziere, dort wo Mainz daheim ist, gingen am gleichen Abend die Lichter auf unbestimmte Zeit aus und der Gastro-Lockdown war der bitterböse Vorbote des kompletten Lockdowns nur wenige Wochen später. Aus anfänglicher Ratlosigkeit und der Frage „Was nun?“ wurde aber schnell Erfindungsreichtum. Aus der Not heraus entschied sich eine Gruppe junger Mainzer*innen, allesamt aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche, eine Teststation in Mainz zu eröffnen. Und weil Not erfinderisch macht, kam das eine zum anderen und aus einer verrückten Idee wurde Wirklichkeit: Die Kultkneipe Zur Andau wird zur Teststation und aus mir, eigentlich Spezialist für Bierzapfen, ein Spezialist fürs Coronatesten.
Nur einige Wochen nach dem letzten Gast kamen dann die ersten Tests in die alt-ehrwürdigen Räume der Andau. 175 Jahre lang gab es dort vor allem Bier, Wein und Mettbrötchen. Die eigentlichen Verkaufsschlager wichen binnen weniger Tage im Dezember Stäbchen, Masken und Coronatests.
Schnell verflog der typische Andau-Geruch, mit ihm auch ein Stück Lebensgefühl – für einige der letzte Hauch Normalität. Ein Geruch, zusammengesetzt aus der Note alter Menschen, dem Suff der letzten Nacht und kaltem Zigarettenrauch, der aber trotzdem irgendwie richtig roch. Vorausgesetzt etwas kann richtig riechen. Lag er in den ersten Tagen noch in der Luft, machten ihm das Desinfektionsspray schnell den Gar aus.
Testkabinen wurden aufgebaut, medizinische Ausrüstung angeschafft, der Raucherraum zum Büro umfunktioniert. Der urige Schankraum zum Testraum gewandelt. Ein schwerer, schwarzer Vorhang versperrt den Blick auf den Tresen. Dort wo normalerweise Jung und Alt, Ur-Meenzer und Zugezogene zusammenkommen. Student*innen mischen sich dort unter alteingesessene Stammis, es wird sich dazu gesetzt, gebabbelt, gelacht. An guten Tagen herrscht dort eine Stimmung, so spritzig wie die Weinschorle auf den Tischen. Heute ist die Stimmung eher fad und Menschen bestellen Tests statt Getränke.
„Freibier gab’s gestern“ steht da noch an der Wand. Der Bitburger-Mann lächelt so unbedarft in den Raum, als wäre nichts gewesen. Draußen laufen ab und an Stammgäste vorbei – „nur mol so zum gugge“. Man schnackt, macht sich Mut, träumt von einer besseren Zeit. Drinnen ist einiges beim Alten geblieben, vieles aber neu und das medizinische Material aus Masken und Schutzanzügen will einfach nicht so recht zu den holzvertäfelten Wänden passen. Dort stehen auf Kreidetafeln immer noch die Preise für die Weine und Bierkrüge verstauben auf den Regalen.
Oft stelle ich mir vor, wie es eigentlich hier aussehen würde – zu normalen Zeiten. Mitte Februar, es ist Fastnacht, die ganze Andau schunkelt zu „Im Schatten des Doms“. Die Menschen haben Spaß, sind unbeschwert, vergessen ihre Sorgen und finden unter den Gleichgesinnten neue Freunde. Gardisten feiern Arm in Arm mit Piloten, Mönchen, Hasen, Eisbären. Das Meenzer Lebensgefühl eben. Ein Gefühl, für das die Andau immer stand. Dieses Jahr ist aber alles anders und so sitze ich am Rosenmontag um 11:11 Uhr mit Schutzanzug, Maske und Visier allein in der Andau. Draußen auf dem Schillerplatz gähnende Leere. Im Hinterkopf singt Margit Sponheimer „Am Rosenmontag bin ich geboren“, während ich die nächste Person auf das Virus teste.
Doch zeigt die ungewöhnliche Wandlung der Andau, was in dieser Pandemie wirklich hilft: Spontanität, Innovationsgeist und gegenseitige Hilfe. Ohne das hätten Andaumitarbeiter*innen und Menschen aus der Kulturbranche keinen Job. Die Andau hätte keine Bestimmung. Zum Glück ist es anders und so kommen Menschen aus verschiedenen Bereichen zusammen, tauschen sich aus, helfen einander und geben sich auch ein Stück Kraft für die nächsten Monate bis endlich wieder Bier durch die Zapfhähne fließt und das Gröbste überstanden ist.