Öko-logisch?
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Die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit werden immer präsenter. Doch was bedeuten die Begriffe und ist es möglich, diesen überhaupt gerecht zu werden? Im ersten Teil der Serie erzählt Eco-Bloggerin Julia Maria Klös über die Wege der Nachhaltigkeit.
von Rodney Fuchs
Wir kaufen unsere Lebensmittel im Biomarkt, verzichten zunehmend auf Flugreisen, präferieren regionale Güter und beziehen Ökostrom. Die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit kennen keine Grenzen und Beschränkungen. Sie lassen sich auf jeden Bereich unseres Lebens anwenden und werden durch Bewegungen wie Fridays For Future immer lauter. Doch wir fahren gleichzeitig mit SUVs in Biomärkte, trinken Bio-Wein aus Australien oder Südafrika und kaufen ständig Mangos, Avocados und Erdbeeren im Winter – denn so viel Luxus muss sein.
Die Qual der Doppelmoral
Es gilt die Selbstrechtfertigung, dass ein jeder von uns Abstriche macht, um sich ein besseres Gefühl in anderen Situationen zu geben. Wir greenwashen uns selbst, um mit unserem Gewissen vereinbaren zu können, dass wir nicht perfekt sind. Das Vorleben anderer baut einen psychischen Druck in uns auf, den wir um jeden Preis verdrängen möchten und in unser Unterbewusstsein rücken. Auch Eco-Bloggerin Julia kennt diesen Schutzmechanismus: „Es ist immer leichter, etwas von sich wegzuschieben. Ich habe das am Anfang auch gemacht, um mein Einkaufverhalten so vor mir selbst zu rechtfertigen, weil ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht damit auseinandersetzen wollte. Viele wollen sich damit nicht beschäftigen, auch weil sie nie damit in Berührung gekommen sind.“
„Wie sieht mein Alltag aus, was kann ich verändern und verbessern? Was sind Dinge, die überflüssig sind, über die ich vorher nie nachgedacht habe? Es gibt fast immer nachhaltige Alternativen“, sagt Julia, die seit 2017 unter dem Alias @greenandwhales aktiv ist und sich seitdem auf ihren Social-Media-Kanälen mit diesen Alternativen auseinandersetzt. Angefangen hat es mit einem Artikel zum Thema Müllvermeidung, den Julia von ihrer Schwester weitergeleitet bekam: „Als aller erstes habe ich mich angegriffen gefühlt, weil dort vieles drin stand, was ich selbst gemacht habe. Alles was ich gekauft habe war in Plastik verpackt und ich habe vorher nie darüber nachgedacht.“
Als sie an einem Dienstag durch die gelben Säcke der Mainzer Neustadt mäanderte wurde ihr klar, dass sie selbst Teil dieses Problems war. „Ich sah die Türme an gelben Säcken, zu denen ich natürlich meine zwei eigenen dazugestellt habe. Meckern kann jeder, aber es ändert sich nichts. Wenn ich nichts dazu beitrage, habe ich auch keine Legitimation mich darüber aufzuregen.“ Seit diesem Moment beschäftigt sich die Bloggerin intensiver mit dem Thema Müllvermeidung, was sie schnell auch zum Thema Nachhaltigkeit führte.
Nachhaltigkeit definieren
Der Begriff der Nachhaltigkeit kennt mehr als nur eine Interpretationsmöglichkeit. Ob etwas nachhaltig ist oder nicht, hängt laut Julia immer davon ab, wie man Nachhaltigkeit definiert: „Es ist immer total individuell und genau das macht es schwierig. Man hat keinen Fahrplan, an den man sich halten kann, um einen nachhaltigen Alltag zu haben. Es sind immer individuelle Entscheidungen, wie die Überlegung, ob ich zu Fuß im Discounter einkaufen gehe oder mit dem Auto in den Bioladen fahre. Diese Individualität macht es so schwierig und wenig greifbar. Ich bekomme viele super individuelle Nachfragen nach Tipps auf spezifische Situationen. Man muss immer schauen, wie man diverse Dinge in seinem Alltag umsetzen kann.“
Dass Nachhaltigkeit immer abhängig von der Perspektive ist, zeigt Julia an einem Beispiel: „Der H&M Pulli, den man vor zwanzig Jahren gekauft hat und heute noch trägt, ist nachhaltig. Aber nicht weil er von H&M ist, sondern weil man ihn seit 20 Jahren trägt. Ich glaube bei vielen Sachen gibt es nicht „die“ Lösung. Klar kann man Bücher mittlerweile auf Apfelpapier drucken und Plastikfolien vermeiden. Wenn ich das Buch in 20 Jahren aber nur einmal lese und dann in den Schrank stelle, kann man von Nachhaltigkeit nicht reden.“
Ob eine Autofahrt in den Biomarkt nachhaltig sein kann, hängt davon ab, wieviel man einkauft. „Natürlich hat man die Emissionen der Fahrt, aber die gekauften Produkte sind dafür nachhaltiger. Auch wenn ich in einem Hofladen einkaufe, der direkt neben dem Feld steht, ist das trotz der Autofahrt nachhaltiger, als Supermarktprodukte aus Übersee, die ich zu Fuß einkaufen gehe“, erzählt Julia, die zudem auch den Online-Handel nicht über einen Kamm scheren möchte: „Wenn etwas ab Lager verkauft wird und nur einmal mit der Post zu mir nachhause gefahren wird, ist das viel nachhaltiger als ein Produkt, das für den Vertrieb in einem Laden um die ganze Welt geflogen wurde.“
Verbrauchertäuschung und Greenwashing
Ein internationales Siegel, das Nachhaltigkeit bestätigt, gibt es bisher nicht. Stattdessen werben Unternehmen mit dem ambivalenten Begriff der Nachhaltigkeit und nutzen ihn als Marketinginstrument. „Ich glaube an vielen Stellen werden die Verbraucher*innen getäuscht, weil Nachhaltigkeit kein geschützter Begriff ist. Es gibt kein Nachhaltigkeits-ABC, das man erfüllen muss, um sich nachhaltig zu nennen. Das Problem ist, dass jedes Unternehmen nachhaltig auf seine Produkte draufschreiben kann, auch wenn nur ein Zehntel des Produkts aus nachhaltigen Materialien ist. Ich glaube es benötigt viel mehr Aufmerksamkeit und strengere Regeln“, sagt Julia, die der Meinung ist, dass man die Verantwortung nicht auf die Kund*innen abschieben kann. „Es ist meiner Meinung nach Aufgabe der Unternehmen, eine Transparenz zu bieten. Damit ich als Verbraucherin nachvollziehen kann, ob etwas wirklich grün ist oder nicht.“
Die meisten “Conscious Collections“ großer Modeketten sind für die Bloggerin oft nur Greenwashing: „Warum ist es nur eine Kollektion? Nur weil Biobaumwolle draufsteht, ist nicht klar wie das Produkt hergestellt wurde und ob der Preis für die Produktion wirklich fair ist. Ich bezahle gerne mehr für Produkte, wenn ich weiß, dass die Produzenten auch davon leben können. Oft sind es dieselben Fabriken, in denen auch die herkömmlichen Klamotten hergestellt werden. Mir ist die Transparenz hier sehr wichtig, dass ich nachvollziehen kann wo das Produkt herkommt.“ Es gibt jedoch auch unabhängige Siegel, die unabhängig überprüft werden und eine Orientierungshilfe bieten, wie Julia hinzufügt.
Spaß statt Druck
Für Julia ist es wichtig, dass das Bewusstsein über dieses Thema in der Öffentlichkeit immer mehr ankommt, weshalb sie gerne die kleinen Tipps immer wieder wiederholt. „Weil es immer Leute gibt, die bei null starten.“ Ihr ist jedoch bewusst, dass Nachhaltigkeit mit Privilegien verbunden ist: „Man sollte sich damit auseinandersetzen, wenn es einem möglich ist. Ich selbst bin Ende 20 und habe vor zwei Jahren mein Studium abgeschlossen. Das ist eine ganz andere Situation als für eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Es geht darum zu schauen, was im Rahmen der eigenen Möglichkeiten umsetzbar ist.“
Das heißt auch, dass jeder noch so kleine Schritt zählt, solange man sich nicht abschrecken lässt. „Man muss nicht von jetzt auf gleich alles ändern – das geht auch gar nicht. Wer gerne shoppt kann bei Klamotten anfangen. Wer gerne kocht kann bei Lebensmitteln ohne Druck und ohne Stress nach Alternativen schauen, um nachhaltiger zu werden. Im Internet gibt es mittlerweile etliche Themenvideos und Blogs, die einem helfen können und jede Menge Tipps geben.“
Ganz wichtig ist für Julia, den Begriff des Verzichts zu meiden, denn „Nachhaltigkeit soll Spaß machen. Es soll Spaß machen, sich auszuprobieren und über sein eigenes Verhalten zu reflektieren. Wenn ich immer nur im Kopf habe, dass ich etwas nicht darf, dann macht es niemandem mehr Spaß.“
WTF
Weitere Tipps von Julia findet ihr auf
greenandwhales.com oder auf ihren Social-Media-Kanälen unter @greenandwhales
Bild: Lichtrausch Fotografie