Erste Sahne Bahnfilet?
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Die Gemüter kochen hoch und die Bürger*innen müssen entscheiden. Am 1. November findet die Abstimmung zur Citybahn in Wiesbaden statt.
Von Michael Süss
Seit über 130 Jahren rumpelt die Nerobergbahn ihre 245 Meter zur Bergstation hoch. Damit ist sie seit der Stilllegung der letzten richtigen Straßenbahn im Jahre 1955 alleine in Sachen schienenbezogenem Stadtverkehr. Alle bisherigen Versuche, die Schiene zurück zu holen, beispielsweise 2001 mit dem Projekt Stadtbahn zwischen Wiesbaden und Taunusstein, scheiterten. Dort, in Taunusstein, lebt man tatsächlich hinter‘m Berg, auch was den ÖPNV angeht. Vorbild für die Bahn war damals das Karlsruher Modell, die Straßenbahn als moderne Regionalbahn.
Seit 2016 läuft nun, federführend durch die ESWE, das Projekt Citybahn. Die Taktungen der Busse sind mittlerweile an der Kapazitätsgrenze angelangt, Busfahrer*innen sind schwer zu bekommen und das Klima kippt. Gründe genug also einen Wandel zur Bahn einzuläuten, zumal Bund und Land mit an Bord sind. Eine 70-Meter-Bahn kann bis zu 440 Personen befördern, ein Gelenkbus macht bei knapp über 100 Fahrgästen schon die Türen zu. Zudem soll die Citybahn von Bad-Schwalbach über Taunusstein kommend viele Pendler aufnehmen, die mangels Alternativen noch auf PKW-Fahrten angewiesen sind. Die Angliederung an das Mainzer Netz erweitert nochmals die Möglichkeiten und gilt als wichtiger Standortfaktor in unserer Metropolregion.
121 Millionen mehr
Seit dem 1. September steht die Kosten-Uhr auf 426 Millionen Euro. Das ist eine deutliche Steigerung gegenüber den ursprünglich geplanten 305 Millionen Euro für den gesamten Streckenverlauf von Bad Schwalbach bis Mainz. Das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Analyse ist mit dem Faktor 1,5 sehr gut. Dieser Faktor, ermittelt vor der neuesten Kostensteigerung, drückt aus, welchen gesellschaftlichen oder auch volkswirtschaftlichen Nutzen die City-Bahn aufweist. Hier sind es satte 50 Prozent mehr Nutzen als Kosten. Einbezogen werden beispielsweise Ersparnisse beim Straßenbau und weniger Umweltbelastungen. Die jetzt festgestellte Kostensteigerung erklärt sich durch die erweiterte Streckenführung in Biebrich, höheren Plan- und Baukosten und gestiegenen Grundstückspreisen. Die Kosten für die Strecke tragen Bund und Land zu 90 Prozent. Auf Wiesbaden kommen circa 43 Millionen Euro zu.
Bürgerrechte
Infrastrukturmaßnahmen dieser Größe sorgen immer für Gegenwind. Im Stadtparlament bekam die Citybahn eine große Zustimmung. Nachdem im Februar 2017 alle Fraktionen, außer der FDP, einer Stadtbahn zugestimmt hatten und 3,4 Millionen Euro zur Vorplanung aus dem städtischen Haushalt bewilligten, kamen kurz darauf kritische Stimmen nach einer Bürgerbeteiligung auf. Das Bürgerbegehren scheiterte zwar an formalen Belangen, die Stadtverordneten gaben ihren Bürgern aber mittels des sogenannten Vertreterbegehrens, das von „Oben“ gewährt wird, die Möglichkeit abzustimmen. Nun heißt es am 1. November ganz offiziell:
„Soll der Verkehr in Wiesbaden, zur Vermeidung von Staus und weiteren Verkehrsbeschränkungen für den Autoverkehr, durch eine leistungsfähige Straßenbahn (Citybahn) von Mainz kommend über die Wiesbadener Innenstadt bis Bad Schwalbach weiterentwickelt werden, um Verkehrszuwächse aufzufangen und Umweltbelastungen (Luftverschmutzung, Lärmbelastung) zu verringern?“
Mindestens 15 Prozent der Wahlberechtigten müssen einer Seite zustimmen, was bedeutet, dass es rund 30 Prozent Wahlbeteiligung bei einem knappen Ergebnis geben muss. Bei unzureichendem Quorum hätte das Modell der Mitbestimmung durch Bürger verloren. Bei einem rechtmäßigen Dafür oder Dagegen ist die Sache zunächst klar. Aber auch bei einem Dafür können Gerichtsverfahren lange Verzögerungen oder gar Baustopps erzeugen. Rechtliche Bedenken gegen das Vertreterbegehren gibt es im Rheingau-Taunus-Kreis. Von einer Mitbestimmung sind deren Bürger*innen ausgeschlossen, die Zustimmung zur Bahn ist dort aber überwältigend groß.
Informationen
Um die Bürger*innen zu informieren bespielen Stadt und ESWE zahlreiche Kanäle. Von Kritikern wird vereinzelt kolportiert man würde mauscheln, intransparent agieren oder lügen. In der Sache hart streiten drei Bürgerinitiativen. Auf der Seite der Befürworter ist das die Bürgerinitiative „Bürger Pro CityBahn“, auf der Seite der Gegner die Bürgerinitiative „Mitbestimmung Citybahn“ und die Bürgerinitiative „Busse statt City-Bahn“. Die Argumente sind schnell zusammen gefasst. Die Gegner fürchten Staus durch stockenden Verkehr und „jahrelange Baustellen“, „Kostenexplosion“ beim Bau und Folgekosten, zu wenige Haltestellen, Stadtbildbeeinträchtigung und Gebäudeschäden durch den Bahnverkehr. Letztlich gelten ihnen Straßenbahnen als veraltet. Die BI „Busse statt Bahn“, fordert außerdem den Einsatz von sogenannten HHO-Generatoren, ein technischer Gimmick der irreal ist und eher dem Fluxkompensator aus Zurück in die Zukunft gleicht.
Auf der Pro-Seite sieht es durchdachter aus. Vieles in der Planung wurde von Expertenseite überprüft und mündet im „Mobilitätsleitbild der Landeshauptstadt Wiesbaden“. Darin enthalten sind unter anderem die Reduzierung von PKW-Verkehr zugunsten der Lebensqualität in der Stadt, Förderung von ÖPNV und Ausbau von Fahrradwegen. In Bezug zur Verringerung umweltbelastender Emissionen unter dem Stichwort „Verkehrswende“ wird die Citybahn als unumgänglich befürwortet. Beide Parteien hoffen, dass es über das Votum am 1. November zu einer klaren Aussage kommt.
WTF
Hier gibt es Infos:
Pro: citybahn-verbindet.de
mobilitaet365.de
Info: wikipedia.org/wiki/Citybahn_Wiesbaden
Contra: mitbestimmung-citybahn.de
busse-statt-citybahn.de
Ihr wollt mehr über die Argumente der Befürworter und Gegner der Citybahn wissen? In unserer aktuellen Ausgabe haben beide Seiten ihre Position dargelegt. Was sie zu sagen haben, lest Ihr hier.
Und wie sieht eigentlich das Meinungsbild in der Wiesbadener Bevölkerung aus? STUZ war in Wiesbaden auf Stimmenfang.