Eine willensstarke Frau für Hechtsheim
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Tatiana Muñoz, Ortsvorsteherin in Hechtsheim, gibt dem Stadtteil durch die Initiative „Wir sind Hechtsheim“ neue Impulse. Zuletzt sah sie sich heftiger Kritik wegen ihres Verzichts auf ein Amtsbüro ausgesetzt. Auch erlebt sie Anfeindungen aufgrund ihrer Herkunft und ihres Geschlechts.
von Tom Albiez
Tatiana Muñoz ist Jahrgang 1985. Aufgewachsen in Mexiko, kam sie mit 11 Jahren nach Deutschland, ohne Kenntnisse der deutschen Sprache. Erst nach der Ankunft begann sie, die deutsche Sprache zu lernen. In der Schule erhielt sie eine Empfehlung für die Hauptschule. Ihren Weg ließ sich Tatiana Muñoz jedoch nicht so einfach vorgeben.
Nach Hauptschulempfehlung: Abitur, Bachelor und Master
Sie verbesserte ihr Deutsch, schaffte es auf Gymnasium und schloss erfolgreich mit dem Abitur ab. Mittlerweile hat sie einen Bachelor in Umweltwissenschaften und einen Master in Energiemanagement. Umweltschutz sei schon immer ihr Ding gewesen. In der Schule habe sie sich besonders für Naturwissenschaften interessiert. Sicherlich sei ihr Interesse und Bewusstsein für Umweltschutz auch durch ihre Lebenserfahrungen in Mexiko genährt worden. In der Gegend, in der sie aufgewachsen ist, stellen Wasserknappheit, Umweltverschmutzung und Energiemangel große Probleme dar.
Dementsprechend begann sie ihre berufliche Karriere in der Green Economy. Bei einem auf erneuerbare Energien spezialisierten Unternehmen entwickelte und betreute sie Projekte in Südamerika. Nach weiteren Unternehmenserfahrungen gelangte sie schließlich in die Verwaltung. Erst übernahm sie 2015 eine Stelle als Klimaschutzmanagerin in der Verbandsgemeinde Nieder-Olm, dann wurde sie 2017 Masterplanmanagerin der Stadt Mainz. Der Masterplan sieht vor, dass die Stadt Mainz bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erlangt. Tatiana Muñoz suchte den Austausch mit Stakeholdern und versuchte, inspiriert von der Startup-Szene, festgefahrene Strukturen in der Verwaltung anzugehen. Ihr Ziel sei es schon immer gewesen, etwas zu bewegen, „zu wirken“ und einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen.
Per Zufall in die Politik
Dass sie schließlich in der Politik gelandet ist, wäre eher Zufall gewesen. Sie sei schon immer ein politischer Mensch gewesen, jedoch hatte erst der SPD-Ortsverband in Hechtsheim sie auf das Amt als Ortsvorsteherin gebracht. Ende 2018 fehlte ein SPD-Kandidat, um die CDU herauszufordern. Daraufhin wurde sie vom Ortsverband angefragt, ob sie nicht Lust hätte, die Kandidatur zu übernehmen. Vor diesem Angebot sei sie politisch nicht aktiv gewesen.
Sie nahm an und fuhr einen Wahlerfolg für die SPD ein. Ein Lichtblick für eine kriselnde Partei, die seit Jahren Wahlschlappen durchmacht. Auf kommunaler Ebene ist die Person wichtiger als die Partei, stellt Tatiana Muñoz fest. Ihren Erfolg führt sie auf ihre Arbeit vor Ort zurück. Sie habe keinen Wahlkampf, sondern den Bürgern ein Wahlangebot gemacht. Eine Amtszeit mit Veränderung und Innovation.
Politische Fehden um ihr Amtsbüro
Dass Veränderungen nicht immer auf Gegenliebe stoßen, zeigen „die politischen Spielchen“ rund um ihr Amtsbüro. Sie habe auf ihr Büro in der Ortsverwaltung verzichtet, um dem Bürgerservice in einer Pandemiesituation mehr Platz zur Verfügung zu stellen. Daran nahm die kommunale CDU Anstoß, die ihr vorwarf, ihrer Rolle ohne Amtsbüro nicht gerecht zu werden. Bürger sollten die Möglichkeit haben, mit ihr in einem geschützten Rahmen wie einem Amtsbüro reden zu können. Tatiana Muñoz hält dagegen, dass sie sich weiterhin mit Bürgern treffe und wenn diese sich mit ihr in der Verwaltung treffen wollen würden, dies auch möglich sei. Jedoch brauche sie für einen Großteil dieser Termine das Büro nicht, sodass es durch den Bürgerservice besser genutzt wäre.
„Verkehr“ ist das Top-Thema, das die Hechtsheimer Ortsvorsteherin benennt, wenn man sie nach den kommunalen Baustellen befragt. Der Hechtsheimer Ortskern sei zu unattraktiv für Fußgänger und Radfahrer. Außerdem gebe es Verbesserungspotenzial bei Schulen und der Kinderbetreuung. Vor allem Kitaplätze seien zu knapp. Ein Dauerthema in Hechtsheim ist außerdem der Fluglärm, der zwar durch die Corona-Krise deutlich zurückgegangen ist, aber wieder zurückkehrt.
Eine Infrastruktur für Engagierte
Tatjana Muñoz sieht ihre Aufgabe als Ortsvorsteherin darin, für die Bürger mit ihren Anliegen da zu sein und eine Infrastruktur für Menschen, die sich engagieren wollen, zu schaffen. So hat sie mit anderen Bürgern zusammen die Initiative „Wir sind Hechtsheim“ vorangebracht. Eine Plattform, um Bürgerinitiative zu fördern und Ideen einzubringen. Auf der Webseite, die sie aufgebaut hat, findet man Projekte, um das Leben im Stadtteil zu verbessern. Jeder kann sich melden und mitmachen, oder ein eigenes Projekt vorschlagen. Während des Höhepunkts der Coronakrise sorgte die Whatsapp-Gruppe „Hechtsheim hilft“ für Aufsehen. Unter der Federführung der Ortsvorsteherin vernetzten sich Bürger aus Hechtsheim, um sich gegenseitig zu unterstützen. Zum Beispiel durch Einkaufsdienste für Senioren.
Zu ihrer politischen Arbeit als Hechtsheimer Ortsvorsteherin gehören jedoch auch Anfeindungen. Vor allem wegen ihrer Herkunft oder wegen ihres Geschlechts. Dennoch macht sie weiter, auch um ein Vorbild für andere Menschen zu sein. Sie wünscht sich, dass man offen über Rassismus reden kann, ohne dass sich jemand beleidigt fühlt. Und wohl auch, dass Frauen, die in die Politik streben, es nicht schwerer als Männer haben sollten.
Vertraue dir selbst
Jungen Leuten mit Migrationshintergrund, die benachteiligt sind, rät sie, vor dem Hintergrund ihres eigenen Werdegangs, „ganz fest an die eigene Selbstwirksamkeit zu glauben“. Selbstvertrauen und Selbstglaube seien unheimlich wichtig. Sie habe selbst gebraucht, um ihre Selbstzweifel abzulegen und die eigenen Fähigkeiten zu erkennen. „Vertraue dir selbst, habe keine Angst“, empfiehlt sie. Es gehe immer weiter. Dass Tatiana Muñoz weiß, was es bedeutet, nicht die gleichen Voraussetzungen im Leben zu haben, ist auch der Grund, warum sie sich als grüne Politikerin bei der SPD und nicht bei einer anderen Partei engagiert. Soziale Gleichheit ist ihr wichtig. Die SPD spiegele das wider, auch wenn sie in der Vergangenheit linke Werte teilweise zu sehr zurückgestellt habe.