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Campus Gesellschaft

Gekommen, um zu bleiben

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Das Psychologische Institut der Uni Mainz hat sich der Erkundung von unklaren chronischen Problemen verschrieben und bringt mit Studien Licht ins Dunkel psychischer Krankheiten und Ängste.

von Lea Krumme

Über geistige Gesundheit wird in unserer Gesellschaft immer noch ungern gesprochen – besonders dort, wo es darum geht, Leistung zu erbringen. Dabei ist das Thema „gerade für Studierende von Bedeutung“, betont Katharina Schnabel, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Experimentelle Psychopathologie (kurz: KliPsy) der Uni Mainz: „Etwa jeder zehnte ist von medizinisch nicht ausreichend erklärbaren Körperbeschwerden betroffen. Studierende weisen demnach gegenüber gleichaltrigen Nicht-Studierenden ein vielfach erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen auf.“ Laut Ergebnissen der World Health Organization fänden im akademischen Kontext (in 21 Ländern) davon gerade mal 16,4 Prozent Zugang zu angemessener Behandlung. Hemmschwellen dafür sind zum Teil Scham und Angst vor Stigmatisierung, mangelndes Wissen über Anlaufstellen oder Abschreckung durch lange Wartelisten. Um diese Hindernisse zu umgehen, kommt eine einfach zugängliche, ohne Aufwand in den Alltag integrierbare App so manchem wie gerufen. Wie wirksam Selbsthilfe-Onlinetools wirklich sein können, ist Schwerpunkt einer laufenden KliPsy-Forschung unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Witthöft.

„Ihr Weg zu mehr Lebensqualität“

„Mit iSOMA haben wir ein wissenschaftlich fundiertes Online-Training entwickelt, dass Ihnen dabei hilft körperliche Beschwerden und Belastungen selbstständig zu reduzieren und wieder Freude an den Dingen zu entwickeln, die Ihnen wichtig sind,“ freut sich Witthöft – und das im eigenen Umfeld und persönlichen Tempo. Das gibt Sicherheit. Denn wenn „etwas auf den Magen schlägt, auf den Schultern lastet, Kopfzerbrechen bereitet“ und dauerhaft schmerzt, schränkt das den Alltag und die Lebensqualität ohnehin schon erheblich ein, und zieht neben dem allgemeinen Wohlbefinden auch die persönliche Belastbarkeit, Beziehungsfähigkeit und Teilhabe an sozialen Aktivitäten in Mitleidenschaft. Im Rahmen der iSOMA Studie können deutschsprachige Studierende über 18, die an Unis oder staatlich anerkannten Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeschrieben sind und unter multiplen Körperbeschwerden leiden, seit dem vergangenen Wintersemester ein kostenloses Onlinetraining herunterladen. In sieben wöchentlichen, informativen wie interaktiven Lektionen zu Schwerpunkten wie Stressbewältigung und Aufmerksamkeitslenkung werden die Teilnehmer „von Gesundheitsexperten darin unterstützt, ihre Beschwerden aus eigener Kraft zu verändern.“ Darin besteht der bewährte Ansatz von kognitiver Verhaltenstherapie – schließlich versteht sich Therapie als „Hilfe zur Selbsthilfe“. Wie in einer persönlich präsenten Therapiesituation bleibt der Austausch mit den e-Coaches auf der Webplattform selbstverständlich vertraulich und im geschützten Rahmen – dem Einen oder der Anderen mag es online sogar noch leichter fallen sich zu Öffnen als in der örtlichen Praxis, weil die verschlüsselte Plattform keine Rückschlüsse auf Personen zulässt. Die Forschungsphase der iSOMA-Studie endet diesen Sommer. Dann geht es für die KliPsy an die Auswertung und an die Erkundung neuer Ufer im Online-Therapiebereich.

Schmerz lass nach

Dasselbe gilt auch für die SOMA-Studie, unter der Leitfrage: „Gehen PatientInnen mit chronischen Körperbeschwerden anders mit unangenehmen Gefühlen um als gesunde Menschen?“ In einem zweistündigen Verhaltensexperiment wird die Emotionsregulation von beiden Personengruppen auf die Probe gestellt. Nach einem diagnostischen Vorgespräch, in dem auch physiologische Werte von Herz und Haut gemessen werden, bekommen die Testpersonen drei unterschiedliche Strategien vorgestellt, die sie anschließend praktisch anwenden und sich im zweiten Durchgang frei für eine davon entscheiden sollen, während die Körperwerte weiter überwacht werden. Wie es sich für Therapiesituationen gehört, wird im Anschluss darüber reflektiert. Das persönliche Schmerzempfinden ist bei jedem Menschen anders und wird von komplexen inneren und äußeren Faktoren beeinflusst , und auch bestimmte Coping-Strategien ziehen bei den Einen mehr, bei den Anderen weniger gut. Egal ob Schmerzen oder negative Gefühle – Ausblenden und „Denk an was Schönes“ ist eben nicht immer der Universaltrick. Im Gegenteil: Wer ohnehin mit einem hohen Level an negativen Emotionen oder sogar Depressionen zu kämpfen hat, wird sich mit solchen Taktiken wahrscheinlich nicht selbst austricksen können und den Schmerz eher noch intensiver spüren. Chronisch, sagt man, ist der Schmerz dann, wenn er über mehr als drei Monate durchgängig oder immer wieder da ist. „Chronische medizinisch unerklärte Symptome gehören neben Depressionen und Angststörungen zu den häufigsten Beschwerdebildern in der gesundheitlichen Grundversorgung“, wissen die Experten der KliPsy, und mehr noch: dass für Betroffene das Risiko Angststörung und Depression gleich mit diagnostiziert zu bekommen drei Mal so hoch ist wie für Schmerzfreie. Und genau dem entgegenzuwirken und die therapeutischen Behandlungsmaßnahmen auszubauen ist die Mission der SOMA-Studie. Auch „bei der Rekrutierung sticht das hohe Interesse von Betroffenen heraus, die häufig sehr stark belastet sind und einen Beitrag zum besseren Verständnis der Symptomatik leisten möchten.“

„Ok Google, wie lange hab‘ ich noch?“

Egal ob der Fuß zwickt, die Nase brennt oder die Zunge kariert ist: der bequemste Weg zur Selbstdiagnose lautet heute oft: „Frag doch mal Doktor Internet“ – denn Freund Google weiß bekanntlich alles und ist immer für dich da. Mit einer Flut von (falschen) Informationen, Fachchinesisch und dem Schlimmsten vom Schlimmsten bietet das Internet alles für den Hypochonder von heute. Wenn sich Krankheitsangst und Googlewahn nun miteinander verbinden, dann wird daraus Cyberchondrie – ein Teufelskreis in Endlosschleife: denn je höher die Besorgnis um die eigene Gesundheit, desto eher wird gegoogelt, desto größer wird die Panik, desto mehr wird gegoogelt. Die gegenseitige Verstärkung tritt eine gnadenlos schwindelerregende Abwärtsspirale in Gang. Angetrieben von der Sorge um das Wohlbefinden sucht der Cyberchonder nach Vergewisserung im Internet, steuert dabei aber, gezielt oder unterbewusst, geradewegs auf die beunruhigendsten Schauergeschichten zu, die die eigenen schlimmsten Befürchtungen bestätigen und übertreffen. Gleichgesinnte steigern sich in Onlineforen mit Frage-Antwortspielen untereinander in die Nervosität hinein, schon beim Lesen zwickt der Fuß noch ein bisschen mehr, der Herzrhythmus überschlägt sich und plötzlich bemerkt die geschärfte Empfindsamkeit auch noch das Pochen im Knie. Statt die Angst vor der Krankheit im Keim zu ersticken, wird sie im Netz gefangen und aufrechterhalten. Das Phänomen Cyberchondrie hat die KliPsy, als erstes und lange Zeit einziges Institut mit Behandlungsschwerpunkt Krankheitsangst in Deutschland , bis letzten Herbst erforscht und nimmt die Ergebnisse derzeit unter die Lupe. Die Spannung steigt und mit ihr der Puls.

Sowohl die SOMA-Studie als auch die iSOMA-Studie suchen noch TeilnehmerInnen. Interessierte können sich unter SOMA-Studie@uni-mainz.de melden. Weitere Informationen zum Psychologischen Institut und den laufenden Forschungsprojekten gibt es auf klipsy.uni-mainz.de/forschung und via Twitter

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