Eine Bar macht Spagat
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Das Mainzer Kultur- und Kommunikationszentrum Bar jeder Sicht feiert 15 Jahre Spagat zwischen Sichtbarkeit und geschütztem Raum: Ein Ort zum Ankommen und Mitgestalten für LesBiSchwule, Heteros, Trans* und Interidentitäre.
von Lea Krumme
Selbst das Raumkonzept der Bar im Bleichenviertel ist auf den Spagat ausgerichtet, um seinen Besuchern beides bieten zu können, wofür der Verein steht: Der vordere Raum mit Fensterfront steht für Offenheit und lädt ein, hineinzukommen, sich umzusehen und auszutauschen. Abseits der Blicke von Passanten bietet der hintere Bereich darüber hinaus einen geschützten Rahmen, um in gemütlichem Ambiente anzukommen. Anzukommen in der eigenen Identität und Sexualität, im eigenen Körper und in einer vertrauten Runde Gleichgesinnter. Etwa 24 Gruppen treffen sich hier regelmäßig zum Stammtisch. Von U21 (außerhalb der Gastrozeiten) bis 50 plus, von Elterngruppen über Rainbow Refugees bis zu Spielerunden ist hier alles vertreten. Manche sind bestehende Gruppen, die sich, vom (Raum-)Konzept überzeugt, bewusst für die Location entschieden haben. Viele weitere sind spontan dort entstanden: aus dem Austausch am Tresen, bei Veranstaltungen, aus Eigeninitiative. Genau dafür steht der Verein hinter der Bar jeder Sicht. Es geht darum, mitzugestalten, sich einzubringen und mit Menschen zu interagieren. „Vereine sind heute nicht mehr so cool, aber der Verein ist hier nunmal das Herzstück. Wir fungieren als Impulsgeber“, merkt Mareike aus dem Vorstand des LBSK e.V. (Kultur- und Kommunikationszentrum für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Intersexuelle) an.
Erstmal ankommen, dann mitgestalten
Neunzig Prozent der Arbeit in der Bar stemmen ehrenamtliche Mitglieder, denen das Engagement für Gleichberechtigung und das Sichtbarmachen der LBST*I-Community ein Herzensanliegen ist. Die meisten starteten ihren Weg in der Sichtbar-Familie als Besucher eines Events, wurden Teil einer Gruppe, fingen an, sich im Gastro-Service zu engagieren und aktiv mitzugestalten. „Unsere Arbeit ist überregional einzigartig, und darauf können wir stolz sein“, freut sich Mareike. Denn die Bar jeder Sicht, die sich über die Grenzen von Mainz hinaus einen Namen gemacht hat und Menschen von fern und nah anlockt, ist weder einfach ein weiterer Gastronomiebetrieb, noch ein geschlossener politischer Verein. Vielmehr vollführt sie gekonnt und sensibel den Spagat zwischen einer vertrauenswürdigen Anlaufstelle und Öffnung des Rahmens durch Kommunikation, Partys, kulturelle und politische Bildung und Aktivierung. Dazu tragen verschiedene Arbeitskreise bei, in denen jeder mitmachen kann: Die Film-AG etwa organisiert den wöchentlichen Mittwochsfilm, der in gemütlicher Barkino-Atmosphäre Gender- und LBST*I-Themen zur Sprache bringt. Bücher und Filme aus dem Bareigenen Bibliotheksbestand können außerdem beim Service ausgeliehen werden. „Auch wenn die Streaming- und Fernsehlandschaft heute schon variabler geworden ist, gibt es noch viele Themen, die diskutiert werden müssen“, reflektiert Mareike. „Viele Kämpfe sind noch nicht ausgefochten. Aber ich beobachte, dass die junge Community sich wieder vermehrt politisiert. Das macht mir Mut.“ Schließlich liegt im Kampf für Gleichberechtigung, Anerkennung und Respekt noch ein ganzes Stück Arbeit vor unserer Gesellschaft, und dafür sind Aufklärung und Kommunikation fundamental. Besonders auch die Thematisierung von tabuisierten weil unangenehmen Bereichen, von Gesundheit (Stichwort AIDS), Übergriffen und Hassverbrechen. Monatlich findet in der Bar eine polizeiliche Sprechstunde statt und auch die vertrauliche Beratungsarbeit nimmt hier einen besonders hohen Stellenwert ein. Ein Stück weit wird der Verein in seiner Arbeit von der Stadt unterstützt, der Großteil wird aber selbst organisiert. Immerhin dienen die „Ankommräume“ ja auch dazu, mit Impulsen „Hilfe zur Selbsthilfe“ anzustoßen: durch Empowerment Menschen zu aktivieren selbst Verantwortung zu übernehmen, sich zu organisieren, für ihre Identitäten und Überzeugungen selbstbewusst und stolz einzustehen.
Vielfalt, Fairness, Regionalität
Ihren Grundsätzen ist die Bar jeder Sicht auch in der Programmgestaltung und der Speisekarte treu: Vielfalt ist das Leitmotiv des Kulturprogramms. Seien es Lesungen, Karaoke, Diskussionsrunden, das Barquiz oder die Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen und Events wie die Ausrichtung des Filmzirkels im Rahmenprogramm des FILMZ-Festivals oder auch Liederabenden der Musical Inc. Auch die Spontanparty zur Öffnung der Ehe für alle 2017 sorgte für ein volles Haus und brachte die Mainzer als Community zusammen. Von Regionalität und Sozialengagement zeugt auch die Getränkekarte: Neben lokalen Weinen, Kirner und Eulchen-Bier stehen faire Erfrischungen von Charitea und Lemonaid auf dem Plan, sowie – „ganz neu und als erste im Rhein-Main Gebiet“ – die soziale Initiativen vor Ort fördernde Community-Cola. „Aber es muss für alle bezahlbar bleiben“, betont Mareike. Denn die Bar soll auch weiterhin ein „Ankommort“ für alle bleiben: „Die Nachfrage ist da, die Themen sind relevant.“ Gerade in turbulenten Zeiten, in denen (nicht nur für die LBST*I-Gemeinde) einiges im Umbruch ist, steht die Bar jeder Sicht, wenn man so will, als Leuchtturm: Ist nicht nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort, sondern dieser Ort selbst.