Auswärts zuhause
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Da ihr Herzensverein ihre Werte nicht mehr teilt, reisen die Fans der Tennis Borussia Berlin durch Deutschland und unterstützen ausgewählte Clubs – so etwa in Wiesbaden-Rambach.
von Tim Porzer
„Es gibt nur zwei Tennis Borussia“ schallt es an einem grauen Sonntagnachmittag über die Fußballanlage des SC Tennis Borussia Wiesbaden-Rambach. Eine Atmosphäre, die der Kreisliga-B-Verein aus dem Wiesbadener Vorort alles andere als gewohnt ist. In der laufenden Saison spielen die Kicker als Spielgemeinschaft Rambach/Kloppenheim in der untersten deutschen Spielklasse, dazu noch auf einem Hartplatz – das treibt am Spieltag sonst nur echte Fußballromantiker an die Seitenlinie.
An diesem Sonntag Ende März, im Spiel gegen den SV Schierstein 1913, ist das anders. Hinter der Reservebank hat sich eine lila-weiße Fangemeinschaft versammelt, die sich lautstark bemerkbar macht. Die etwa fünfzig Stimmungsmacher kommen vom namensverwandten Club Tennis Borussia Berlin. Ausgerüstet mit eigens für diesen Tag bedruckten Schals, auf denen sich die Logos der beiden Tennis Borussias aus Berlin und Rambach vereinigen. Um 6.30 Uhr begann die Zugreise in Berlin, um pünktlich zum Anpfiff um 15 Uhr in Rambach zu sein. Der verrückten Sonntagsfahrt liegt jedoch eine traurige Vorgeschichte der Fans des Berliner Oberligisten zu Grunde.
Rechtsruck und Werteverlust führen zur Fanflucht
Die außerordentliche Mitgliederversammlung der Tennis Borussia Berlin Ende vergangenen Jahres bildete den Tiefpunkt im Streit zwischen Fans und Clubführung des Oberligisten. Seither boykottieren die Fans der TB die Spiele ihres Herzensvereins. Hauptursache für den anhaltenden Konflikt ist ein Rechtsruck im Verein und der damit einhergehende Werteverlust: „Wir stehen für Antisexismus, sind gegen Homophobie und für Gleichberechtigung“, stellt Sören Kohlhuber die Grundwerte der Berliner Anhängerschaft vor. Anstelle öffentlicher Unterstützung ihrer Anliegen beobachten die Fans eine Umkehr ihrer Werte innerhalb des Berliner Clubs: „Es ist schon alarmierend, wenn der Berliner Fußballbund eingreifen muss, da der Verein die Regenbogenfahne nicht mehr hissen lassen will“, konstatiert ein frustrierter Sören Kohlhuber und fügt an: „Es gibt einen Rechtsruck im Verein, viele AFD-ler. Die Erik & Sons-Marke war früher verboten und nun tragen es die Ordner.“ Für die Berliner Fans ist dieser Werteverlust eng mit der Person ihres Vorstandsvorsitzenden verbunden: „Wenn der Vorstandsvorsitzende Jens Redlich geht, kommen wir wieder zu Spielen“ kündigt Sören Kohlhuber an.
Geteilte Reaktionen auf das Schicksal der TB Fans
Solidaritätsbekundungen bekamen die Anhänger aus der vereinseigenen Tischtennisabteilung und aus den Fanlagern des Bundesligisten Hannover 96 und des Drittligisten TSV 1860 München. Die Reaktionen aus der Fanszene ist insgesamt eher verhalten, berichtet Kohlhuber: „Viele sagen, wir haben unser Grab selbst geschaufelt, dadurch dass man ein Stimmrecht direkt nach Neueintritt als Mitglied hat.“ In anderen Vereinen ist das Stimmrecht auf der Jahreshauptversammlung an eine bestimmte Mindestdauer als Mitglied geknüpft. „Im Grunde ist das eine Konterrevolution, aber wir hätten nicht gedacht, dass der Verein das ausnützen würde“, ordnet Kohlhuber die Geschehnisse ein. Nach der zweiten Insolvenz des Vereins hatten die Tennis-Borussia-Fans dieses direkte Stimmrecht eingeführt, um mehr Mitspracherecht zu erlangen. Dies wurde ihnen auf der letzten Jahreshauptversammlung zum Verhängnis, als auf Clubseite neue Entscheidungsträger aus dem Umfeld Redlichs mit einer Mehrheit durch Neumitglieder installiert werden konnten.
Caravan Of Love als reisende Protestform
Um nicht auf Fußball verzichten zu müssen, wurde unter dem Motto „Kleine engagierte Fan-Szene sucht vorübergehend Verein, der für eine demokratische Kultur und gegen Rassismus, Seximus und Homophobie einsteht“ kurzerhand der Caravan Of Love gegründet. Neben befreundeten Fußballclubs in der Berliner Region besuchen die Fans auf ihrer Reise durch Fußball-Deutschland zum einen die Tennis Borussia Rambach als Namensvetterin und zum andern die Fußballerinnen der SG Holdorf/Handorf-Langenberg. Zudem steht ein Wasserball-Champions-League-Spiel der WF Spandau 04 Berlin an.
In Rambach mit offenen Armen empfangen
Als die Berliner Gäste die TB Rambach drei Wochen vor dem Spiel anschrieben und ihren Besuch ankündigten, „haben wir zuerst gedacht, dass sei ein Joke“, lacht Heinz Leukel. Der Ehrenvorsitzende selbst ist bereits seit 1978 im Verein aktiv, war unter anderem Jugendleiter und elf Jahre Vorsitzender. Für den Kreisligist aus Wiesbaden kommt die moralische Unterstützung aus der Hauptstadt indes genau richtig, steckt die Tennis Borussia doch selbst in einer schwierigen Saison. Sechs verletzte Spieler bringen den kleinen Club an die Belastungsgrenze. In Panik verfällt man deshalb nicht. Im Gegenteil, der Vertrag mit Trainer Dieter During wurde bereits vorab verlängert. Das passt ins Leitbild der Rambacher: „Hier steht das Familiäre im Fokus, kein Spieler wird bezahlt“, versichert Leukel. Das Familiäre ist für die Wiesbadener zugleich Überlebensstrategie, denn „wir sind einer der wenigen Vereine, die noch einen Hartplatz haben. Der Platz ist für Spieler unattraktiv“, erklärt Heinz Leukel. Und so läuft die Akquise neuer Spieler zumeist über den Kontakt von Spieler zu Spieler.
Besuch beim Namensvetter als voller Erfolg
Etwa 100 bis 120 Zuschauer dürfen die Rambacher an diesem Sonntag begrüßen, sonst sind es etwa zwanzig. Und auch die Stimmung bei den Gästen ist trotz der 1:4-Niederlage der Rambacher toll: „Das Setting hier auf dem Berg ist wirklich wunderbar“, schwärmt Karsten und fügt an: „Die Anreise war perfekt. Man kommt an, an einem Wirtshaus, das Apfelwein für 2,50 Euro anbietet.“ Auch Roland hat dem Besuch im Wiesbadener Vorort lange entgegengefiebert: „Es gibt nur zwei Tennis Borussia und wir wollten endlich mal wieder ein Heimspiel und die Stimmung hier ist teilweise besser als am Ende im eigenen Block“. Und Dennis berichtet stolz: „Wir haben uns gefragt, ob die Namensgebung mit unserem Verein zu tun hat. Das Gründungsjahr der Rambacher, 1977, war unsere Bundesligasaison. Das wurde uns heute auch bestätigt.“ Bei den Gastgebern reift indessen die Idee zu einem „Gegenbesuch, wenn die Wogen sich wieder geglättet haben“, versichert ein überglücklicher Heinz Leukel. Für die Rückreise werden die Berliner Gäste mit heimischem Apfelwein versorgt und als besonderes Andenken gibt es neben einem Kaffeebecher der Tennis Borussia Rambach noch den kompletten Trikotsatz der Rambacher Fußballer.
Die SG Rambach/Kloppenheim sucht auch derzeit wieder nach Spielern für ihre Herren- und Jugendmannschaften. Bei Interesse gibt es nähere Informationen auf: www.tb-rambach.de