Verkehrswände in Wiesbaden
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Eine Diskussionsrunde zur Verkehrswende in Wiesbaden entpuppte sich als einseitige Veranstaltung, die im Fahrrad die Lösung aller Probleme erkannte.
von Michael Süss
Wiesbaden, fahrradunfreundlichste Stadt Deutschlands“. Das war der Titel einer abendlichen Diskussionsrunde, „des ersten Wiesbadener Talk“, Mitte Februar im Museum der Landeshauptstadt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Wiesbadener AStA. Vorab: Zu einer hitzigen Diskussion kam es nicht, im Gegenteil, alles waberte zwischen Verkehrskonzepten für die Zukunft und religiösem Fahrradmonotheismus. Das lag vermutlich an den Diskutanten, die grundsätzlich einem gleichen Lager angehörten. Verkehrsdezernent Andreas Kowol von den Grünen, Volker Blees, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule RheinMain, Dr. Alexander Klar, Direkter des Museum Wiesbaden, Ulla Bai vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrradclub) Wiesbaden und Benedikt Klein, Verkehrsreferent des AStA. Natürlich verkauft der Politiker, also Andreas Kowol, die eigene Politik immer als den Start vom Übel der Vorgängerschaft. Im Stile von: Endlich geht es los, wir haben viel begonnen und kleine Erfolge sehen wir schon! So werden rot-weiße Kunststoffnippel am Straßenrad als Fortschritt verkauft. Ok, es ist eine Änderung und sogar ein Fortschritt auf dem Weg dem Radfahrer Raum einzuräumen. Radfahrern die Busspur zu offerieren scheint hingegen ziemlich bescheuert. Das ließ gleich Dr. Alexander Klar vom Stapel, der als radikaler Radler gerne mal vom Rad steigt und den Busverkehr anhält, wenn er sich vom Busfahrer genötigt fühlt.
Parken im Favela-Style
Diese seltsame Attitüde, dass Radfahrer vom Grundsatz immer im Recht sind steigerte sich schnell in pseudo-religiösen Fanatismus. Direktor Klar übernahm die Rolle des Messias und forderte Autos radikal raus aus der Innenstadt (denn vor achtzig Jahren waren auch keine Autos im Westend) und beschrieb gleich mal die Parksituation als Favela-Style. Ein Murren im Saal ob dieser gewissermaßen chauvinistischen Verhärtung war da nicht zu hören. Entspannender waren die Aussagen von Professor Blees. Runter mit dem Tempo, weg mit irrsinnigen Quatschregeln wie beispielsweise Fahrradwege in neun verschiedene Verwaltungsdefinitionen zu packen, um am Ende nicht zu wissen, was man eigentlich will. Würde man also den Verkehr so lagern, dass er, wie in Paragraph eins der Straßenverkehrsordnung vorgesehen, dem sicheren Fortkommen aller dienen würde, wäre auch allen geholfen. Dass der ADFC bereits flächendeckend Tempo 30 fordert war deren Vertreterin Ulla Bai erst mal unbekannt. Vermutlich weil ein Mensch in Wiesbaden mit nur Tempo 50 bereits glücklich wäre. Blitzer, um das Tempo zu drosseln, werden auch nicht in der Stadt aufgestellt sondern gern auf Ausfallstraßen wo es eh scheißegal ist, wie schnell man da raus beschleunigt. In der Stadt ist Tempo 80 eher die Regel als die Ausnahme. Ansonsten schwadronierte Frau Bai wie toll Kopenhagen sei. Wäre, wäre Autofähre, ist halt Wiesbaden, trotzdem dürfen Sie träumen!
Unmut beim AStA
Kontrovers wurde es tatsächlich nur einmal, als Benedikt Klein vom AStA seinen Unmut darüber äußerte, dass die Kooperation mit Nextbike nicht ausgebaut wurde und stattdessen Stadt und ESWE das Mainzer System MeinRad übernahmen. Mehr oder weniger direkt kritisierte er die Gespräche mit dem Verkehrsdezernenten. Nun hat Wiesbaden zwei Systeme an der Backe, die – so darf man sagen – beide kaum genutzt werden. Zu den nicht nachgefragten Mietradsystemen kommt als weitere Maßnahme die Subventionierung von E-Bikes und Lastenfahrrädern von bis zu 1.000 Euro durch die Stadt, finanziert aus einem Topf des Landes. Auf Nachfrage aus dem Publikum kam gleich die bittere Erkenntnis: Die Stadt plane vorerst keine gesonderten Fahrradparkplätze. Welcher Hirni stellt also sein 4.000 Euro teures Lastenrad nachts auf den Bürgersteig? Und spätestens hier wird dem Zuhörer klar: Es geht weniger darum eine Stadt umzumobilisieren, sondern es geht darum, Symbolpolitik zu betreiben. Schade, denn der halbe Weg führt nicht weit. Tatsächlich wäre es statt Abschlepporgien vernünftiger, Autofahrer mitzunehmen, vor allem die, die Pendler sind, Familien organisieren oder Schicht kloppen. Ihnen Angebote schaffen, mit Ihnen reden, das findet nicht statt. Das ist zumindest der Tenor der Gespräche in den Stehpizzerien, gediegenen Weinhandlungen und Billigfrisören um die Ecke. Da hört man andere Ideen die sogar weiter gehen, wie die Mittelspuren auf dem Ersten Ring oder der Rheinstraße in Radwege zu wandeln. Und das würde sogar neue Radler auf die Straße bringen. Aber dieser Gruppe, die auch ein Auto fahren, den Abend zu versauen, weil sie jetzt sechzig Minuten suchen sollen statt dreißig Minuten um die Kiste abzustellen, ist kein Konzept. Dabei sind die Leute neuen Lösungen und praktikablen Kompromissen gegenüber offen. Die an diesem Abend mehr oder weniger aufgebaute Konfrontation zwischen Rad und allen anderen schafft keine Verkehrswende, sondern sorgt für Mauern zwischen den einen und den anderen. Fazit: Schade, schade, eher Verkehrswände als Verkehrswende.