„Eine Kalaschnikow neben dem Sofa“
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Maximilian Pollux war Gangster und saß lange im Gefängnis. Heute ist er Autor und leistet wertvolle Präventionsarbeit. Wir haben mit ihm über sein Leben vor, in und nach der Haft gesprochen.
von Ingo Bartsch
Sachbeschädigung, Graffiti, Hasch. So hat es bei Maximilian angefangen. Der erste Trip nach Holland mit 13. Ältere hatten ihn geschickt: „Dir kann ja nichts passieren.“ Was so nicht stimmt. Aber wer macht sich in der Pubertät schon Gedanken darüber? Mit 14 wurde er das erste Mal erwischt, Einfuhr von Betäubungsmitteln. Es gab 120 Arbeitsstunden.
So begann Maximilian Pollux‘ kriminelle Karriere, die schließlich in zehn Jahren Gefängnis mündete. Heute tourt der 35-Jährige, der einen ein wenig an Jeremy Meeks erinnert, durch Deutschland. Er besucht Schulen, Unis, aber auch Kliniken, Wohngruppen und Heime. Er spricht schonungslos offen über seine Verbrechen, über die Haft. Er räumt auf mit dem thug life, von dem so mancher 15-Jährige träumt. „Gefährdete Schüler nehmen niemanden mehr ernst“, sagt er. „Aber mich müssen sie ernstnehmen. Denn ich habe mit Drogen gedealt. Ich habe Leute überfallen. Ich war in Messerstechereien. Und ich habe zehn Jahre im Gefängnis gesessen.“
Der gebürtige Nürnberger, der heute in Mainz lebt, erscheint nicht wie jemand, der auf solch ein Leben zurückblickt. Er hat eine gewinnende, kommunikative Art. Kann sich ausdrücken. Spricht fünf Sprachen. Seine Gegenwart ist angenehm. Sein Erscheinungsbild ist gepflegt. Keine kritzeligen Tattoos. Keine schlechten Zähne. Allenfalls das Muskulöse und die kurzgeschorenen Haare haben etwas von bad boy. Doch er ist heute ein good guy. Bloß einer, der viel Schlimmes zu berichten hat.
STUZ: Maximilian. Du sagst, du hast letzte Nacht nicht gut geschlafen. Woran lag es? Hängt dir noch die Zeit im Gefängnis nach?
In diesem Fall ist mein früherer Lebensstil schuld. Nicht die Haft. Die Haft ist traumatisierend, und sie macht dich innerlich leer. Aber in der Zeit davor habe ich immer in Angst gelebt. Ich wache zum Beispiel auf, wenn ich zwei Autotüren kurz nacheinander höre: klapp-klapp. Wenn ich nur eine höre, klapp, dann steigt jemand in seinen Wagen und fährt zur Arbeit. Oder ich höre einen Kofferraum – klapp – und eine Autotür – klapp. Okay. Aber bei zwei Autotüren bin ich sofort im Fight-or-Flight-Modus.
Was bedeutet das?
Kämpfen oder abhauen. Intellektuell weiß ich, ich habe dieses Leben hinter mir. Aber vegetativ reagiere ich mit Schwitzen und Panikattacken. Vor Gericht gab es damals ein Gutachten über mich, da stand eine paranoide Störung drin. Ja, natürlich! Ich war doch auf der Flucht, ich wurde gesucht – natürlich musste ich paranoid sein!
Wieso warst du auf der Flucht?
Im Drogengeschäft wirst du ab einem bestimmten Punkt automatisch in andere kriminelle Dinge verwickelt. Körperverletzung, Diebstahl. Es ist schon räuberische Erpressung, wenn du zu jemandem sagst: Rück die Kohle raus, die du mir schuldest! Ich war der Jüngste in unserer Gruppierung. Um mich rum waren gewaltbereite, knasterfahrene Leute. Ich wollte mich ständig beweisen.
Dann ging es aber nicht nur um Schulden …
Als ich zwischen 18 und 20 war, habe ich um die fünfzig Dealer in ihren Wohnungen überfallen. Ich habe selbst Leute vorgeschickt. Wenn die zurückkamen und sagten: Ist ein softer Typ, da liegt Geld auf dem Tisch und keine Knarre – dann sind wir hin. Tja, und irgendwann kam der Haftbefehl wegen eines solchen Überfalls. Ich bin daraufhin zwei Jahre durch Europa geflüchtet. Prag, St. Petersburg, Amsterdam.
Wie hast du dich finanziert?
Natürlich wieder mit Dealerei. Wir hatten 2004 eines der ersten Crystal-Meth-Labore und haben das Zeug massiv in den Markt gepusht. Flucht ist teuer. Das ist ein Zustand, in dem du sogar deinen Zahnarzt bar bezahlen musst. Und als Zwanzigjähriger auf der Flucht bist du ständig in Gefahr. In Prag gibt es Leute, die machen dich für fünfzig Euro kalt. Auch Amsterdam ist sehr gefährlich. Ich hatte in meiner Wohnung Drähte auf Kopfhöhe gespannt. Ich musste mich in meiner eigenen Wohnung ständig ducken und aufpassen, dass ich mich nicht selbst enthaupte! Eine Kalaschnikow neben dem Sofa, eine Luger unterm Kopfkissen. Ich habe schusssichere Westen getragen.
Hat das alles was gebracht?
Nein. Verhaftet wurde ich mit 21 in Amsterdam auf der Straße. Die jagen dich mit Zielfahndern und die machen sich schlau und gehen an die richtigen Stellen: Mutter, Oma, Exfreundin. Die wissen letztlich auch, dass sie einen bewaffneten Irren nicht in seiner Wohnung festnehmen sollten. Ich bin von einer holländischen Spezialeinheit verhaftet worden. Die haben mich schwer verprügelt. Meine Brille hat mir nicht mehr gepasst. Nach ein paar Monaten Haft in Holland bin ich dann nach Deutschland gekommen. Dort saß ich zwei Jahre in U-Haft.
Nach der U-Haft hast du dein Urteil bekommen.
Ja. 13 Jahre und ein Monat. Und das in Bayern, das sich krass von anderen Bundesländern unterscheidet. Bayern ist das mit Abstand schlimmste. In Bayern hast du zum Beispiel keine Musik. Du hast kein Internet, keine Playstation, nichts.
Und das für 13 Jahre …
Dachte ich mir auch. Ich kam dann zuerst nach Straubing in Haus 1, zu den Alten. Es roch dort nach Altenheim und Friedhof. Es war ein sehr stilles Haus. Normalerweise ist es im Knast laut. Aber bei den Alten war es ganz still. Die lachten mich erstmal aus: 13 Jahre, da würde ich nicht mal meinen Koffer auspacken, hat einer gesagt. Klar, es ist ein Schock. Aber was willst du jammern, wenn du von Typen umgeben bist, die seit zwanzig, dreißig Jahren sitzen? Neben mir saß der Mittagsmörder, der war zu dem Zeitpunkt schon seit 44 Jahren in Straubing!
Was waren deine ersten Gefühle beim Haftantritt? Welche Gedanken hattest du?
Ich habe eigentlich nur die Zahl im Kopf gehabt. 13 Jahre. Ich habe für Exekutive, Judikative, für alle nur Hass empfunden. Ich habe mich zu hart bestraft gefühlt, vor allem, weil ich nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurde. Ich habe mich im Recht gefühlt. Das hat mir geholfen. Denn durch das Gefühl der zu harten Bestrafung bin ich von der Täter- in die Opferrolle gelangt. Ich bin erst recht nicht auf den Gedanken gekommen, dass ich was falsch gemacht habe. Von daher bin ich auch der Meinung, dass harte Strafen nicht abschrecken. Im Gegenteil.
Also kam dir auch nicht der Gedanke, dass die Kriminalität, die dich dorthin gebracht hat, ein Fehler gewesen ist?
Natürlich nicht. Die ersten fünf, sechs Jahre im Knast habe ich genau so weitergemacht. Da drinnen gibt es auch Banden. Drogen, Glücksspiel, Schutzgeld. Oder Zinsgeschäfte: Du kriegst von mir drei Päckchen Tabak, ich kriege fünf zurück. Dann kommt hinzu, dass ich meine Dealerei, also die Art von Kriminalität, im Vergleich zu anderen unverhältnismäßig hoch bestraft finde. Da war einer mit einer Kinderfickergeschichte, der hat nur sieben Jahre bekommen. Klar, ich habe wirklich lange nachgedacht. Aber ich bin immer wieder bei Gedanken hängengeblieben: Hey, da draußen sind Jack Daniels, Stuywesant und all die anderen … und ich bin der Böse? Klar, ich habe die Überfälle gemacht. Aber gerade im Drogengeschäft sind viele, die nicht kriminell sind. Studenten, die ein bisschen Weed dealen. Die würden keine Bank überfallen. Aber oft werden sie behandelt wie kriminelle Kriminelle.
Du sagst, die ersten fünf, sechs Jahre – was ist dann passiert?
Dann kam die Erkenntnis, dass ich meiner Familie und meinen Freunden geschadet habe. Und dass ich nicht an diesen Ort gehöre. Ich hab in den Spiegel geschaut und gedacht: Fuck, du könntest Entwicklungshelfer oder so was sein! Im Knast triffst du Typen, denen siehst du sofort an, dass sie da rein gehören. Die sitzen zehn Jahre ab, kommen raus, und nach einem Jahr kommen sie zurück und sitzen wieder zehn Jahre.
Was ist das härteste am Knast?
Da denken viele immer sofort an Schlägereien und Vergewaltigungen. Klar, das gibt es dort. Was ich aber am härtesten fand, war die Zeit. Deine Eltern werden alt. Deine Großeltern sterben. Deine Freunde heiraten, kriegen Kinder. Draußen geht alles weiter, und du sitzt da drin und kommst nicht ran. Kein Sex. Und bei wem heulst du dich aus? Da sind nur Männer um dich rum. Das ist richtig hart. Das und die Isolationshaft.
Isolationshaft?
Ja. Ich habe ungefähr zwei Jahre in Absonderung oder Isolation verbracht. Absonderung bedeutet, du bist immer noch mit anderen Gefangenen zusammen. Isolation heißt, du bist allein. Ein leerer, gefliester Raum. Nur eine Pritsche und im Boden ein Loch zum Scheißen. Kein Input. Nur Stille. Sie können dich bis zu 28 Tagen da drin lassen. Das ist Folter. Danach bist du Schrott. Aber ich habe das oft provoziert. Manchmal war mir selbst zu schaden die einzige Möglichkeit, das Gefühl zu haben, aktiv zu sein.
Wie hast du letztlich die Kurve gekriegt?
Ich habe noch im Gefängnis eine Ausbildung zum Bürokaufmann gemacht. Ich schaffte es, nach knapp zehn Jahren rauszukommen statt erst nach 13. Außerdem habe ich einen Kurzgeschichtenwettbewerb gewonnen und den Ingeborg-Drewitz-Preis erhalten. Wenn du dann rauskommst, fängst du nicht bei Null an, sondern im Minus. Du hast einen Rucksack voll Scheiße. Ich hätte anfangs nie zu träumen gewagt, dass ich das mal in was Positives gedreht bekomme.
Heute profitieren viele Andere von deinen Erfahrungen.
Ja. Und es ist auch für mich immer wieder aufs Neue interessant. Ich habe zum Beispiel mit Schülern ein Theaterstück entwickelt. Wenn ich in einer Klasse bin, biete ich immer auch noch Einzelgespräche an. Da kommt dann raus, dass ein Junge nicht mehr ohne Messer vor die Tür geht. Das sind schwierige Themen. Ich lasse Messerkämpfe mit Pinseln simulieren. Ich frage: Wie wird das der Richter sehen? Ich kann mit einem Jugendlichen sozusagen von Mann zu Mann sprechen. Ich sage: Versprich mir, dass du das Messer nicht mit in die Schule nimmst. Und eines ist klar: Ich habe im Knast niemanden kennengelernt, der hinter seiner Tat stand. Im Gegenteil, so jemand sitzt dann da und sagt: Mann, hätte ich an dem Tag bloß kein Messer dabei gehabt.
Eine Kurzgeschichte von Maximilian gibt es in der Anthologie „Zappenduster“ zu lesen. Sie ist im Rhein Mosel Verlag erschienen.
Am 23. Oktober liest Maximilian bei der Leselampe in der Mainzer Dorett Bar. Der Eintritt ist frei.