Freiheit, nicht Faulheit
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In Mainz wissen viele Bürger nicht, dass es eine Kunsthochschule in der Stadt gibt. Gegen diesen Missstand und für mehr Platz kämpft der neue Rektor Dr. Martin Henatsch.
Zur Kunsthochschule, bitte“, sagt der Fahrgast zum Taxifahrer. Der Taxifahrer fragt: „Wohin? Kenn ich nicht.“ Das ist Dr. Martin Henatsch in Mainz nicht nur einmal passiert. Auch deshalb hat sich der Rektor der Mainzer Kunsthochschule (die übrigens am Taubertsberg liegt, zwischen Kingpark und dem Studentenwohnheim in der Binger Straße) auf die Fahnen geschrieben, den Ruf der Kunsthochschule zu verbessern. Beziehungsweise dafür zu sorgen, dass sie überhaupt wahrgenommen wird.
Henatsch ist seit Mai letzten Jahres Rektor. Er ist der erste, der diesen Posten zu hundert Prozent bekleidet und nicht noch daneben eine Klasse leitet und ein Atelier betreut. „Das verleiht der Position eine ganz andere Durchschlagskraft“, findet der gelernte Kunsthistoriker. „Eine Kunsthochschule muss ganz anders ausgestattet sein. Dieser kleine Bau hier platzt aus allen Nähten.“ Ein geplanter Anbau wird nicht viel an der Situation ändern. Langfristig wünscht Henatsch sich deutlich mehr Platz, auch ein neuer Standort wäre ihm recht, wobei er einen Ort in der Stadt dem Campus vorziehen würde. Dass die Mainzer Kunsthochschule im nationalen Vergleich eine sehr kleine ihrer Art ist, stört den Rektor indessen nicht, im Gegenteil: „In einem kleinen Kollegium kann man schneller Entscheidungen treffen, ist flexibler. Große Institutionen sind oft träge.“
Kunst in Apotheke und vor dem Rathaus
Was die Strahlkraft der kleinen Akademie in die Stadt angeht, kann Henatsch in seiner kurzen Amtszeit bereits erste Erfolge verbuchen. So bespielen Studierende der Kunsthochschule eine alte Apotheke in der Umbach mitten in der Mainzer City. Auf diese Weise lernen die jungen Künstler nicht nur das Ausstellen. Auch Bürger, die bislang keine Ahnung von der Existenz der Kunsthochschule hatten, oft auch keinen Bezug zu Bildender Kunst, lernen so Neues kennen. „Das Interesse an der Apotheke ist erfreulich groß, auch die Künstlergespräche sind sehr gut besucht“, zeigt sich Henatsch zufrieden. Und es gibt bereits den nächsten Spot in der Stadt, er trägt den Namen „Sockelalarm“ und befindet sich auf dem Rathausplateau. Dort wird zweimal im Jahr, jeweils zu Semesterbeginn, ein Sockel von Kunststudierenden bespielt. „Das ist nicht einfach, denn es ist ein ungeschützter, öffentlich zugänglicher Raum.“ Also wieder gut fürs studentische Know-how und was zum Hingucken für die Flaneure zwischen Fuchsbau und Rheingoldhalle. Die Kooperation mit der Kunsthalle ist ein weiterer Arm in die Stadt. Zuletzt waren hier Projekte der Filmklasse zu sehen. Henatschs Vorhaben, mehr Schwung in die Kunsthochschule und mehr Kunsthochschule in die Stadt zu bringen, ist also gut angelaufen.
Die nächste Gelegenheit, sich mit der Kunstakademie und den Werken ihrer Studierenden vertraut zu machen, bietet der Rundgang Anfang Februar. Hier zeigen die verschiedenen Klassen ihre Arbeiten. Gibt es da vielleicht sogar die frühesten Kunstwerke des nächsten Jonathan Meese zu sehen? Wer weiß. Zumindest wird bei weitem nicht jeder Kunststudierende später einmal bildender Künstler. „Maximal zehn Prozent derer, die heute hier studieren, haben in zehn Jahren beruflich noch was mit Kunst zu tun“, lautet Henatschs Einschätzung. Und die Freiheit, die das Kunststudium bietet, macht es nicht unbedingt einfacher. „Wenn hier mal jemand ein Semester ausfallen lässt, hat das nichts mit Faulheit zu tun“, sagt der Rektor und fügt hinzu, dass es auch zu seinen Aufgaben zähle, für genau diese Freiheit zu kämpfen.