„Ist das jetzt die Hölle hier?“
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Der Braunschweiger Soziologe Jörn Höpfner zieht aus seinen Beobachtungen im Supermarkt höhere Erkenntnisse. In seinem neuen Buch „Sag mir, was du kaufst, und ich sag dir, wer du bist“ schließt er von Einkäufen auf die Einkaufenden. Ein Interview.
STUZ: Wie kamen Sie auf die Idee zum Buch?
Jörn Höpfner: Ich habe 2015 an einigen Science Slams teilgenommen. Da ging es um Menschen im Regionalexpress. Wenn ich Bahn fahre, springen mir nämlich zahlreiche Menschen ins Auge, und ich kann mich nicht erwehren, sie anzuschauen und in soziologische Milieus einzuordnen. In einem liegengebliebenen Regionalexpress fragte ich mich dann, ist das jetzt die Hölle hier? Oder ist die Hölle eine endlose Kassenschlange im Supermarkt? In beiden Fällen sind um mich herum nur Menschen. Da kam die Idee den Slam durch die Erfahrungen im Supermarkt zu erweitern und durch persönliche Anekdoten noch vielseitiger zu erzählen.
In Ihrem Buch haben Sie die Gesellschaft von der bürgerlichen Mitte über das liberal-intellektuelle Milieu bis zu den Performern in zehn Gruppen unterteilt. Welche Milieus machen den größten Anteil an der deutschen Gesellschaft aus?
Tatsächlich alle. Da gibt es keins, das raussticht. Ein jedes liegt ungefähr zwischen acht und 13 Prozent von der Repräsentanz. Wenn wir die Gruppen nach Alter sortiert betrachten, wird es natürlich anders. Je älter das Untersuchungsobjekt, desto mehr kommt man in traditionellere und bürgerliche Milieus.
Wie kamen Sie auf diese Kategorisierung?
Ich habe mich am Gassenhauer der Milieuforschung orientiert. Das sind die Sinus-Milieus, die ich in meinem Buch bespreche und erkläre. Ein Standard, der in sozialwissenschaftlichen Forschungen aller Art Anwendung findet, vom Fernsehprogramm über kriminelle Jugendliche bis zur katholischen Kirche. Damit habe ich sehr lange gearbeitet und ich halte die Sinus-Milieus für eine sehr gute Kategorisierung. Ich wünschte, ich hätte sie selbst erfunden.
In welchem Milieu sehen Sie sich selbst?
Man glaubt ja, wenn man das mit dem Kategorisieren verstanden hat, funktioniere das nicht mehr bei einem selbst. Das stimmt aber nicht. Ich erwische mich zum Beispiel regelmäßig, wie ich in einer Anzugweste und Retro-Sneakers in einem Café sitze und Dinkelbrötchen mit Hummus esse. Von daher würde ich sagen, bin ich an der Grenze vom liberal-intellektuellen zum expeditiven Milieu, mit ein bisschen Hedonist drin. Das ist auch ganz wichtig. Die Einteilung ist nicht trennscharf. Die Milieus überlappen sich oft.
Können Sie eine besonders markante Person, die Ihnen im Supermarkt begegnen könnte, kurz beschreiben und anhand ihrer Merkmale in ein Sinus-Milieu einordnen?
Manchmal trifft man ja durchaus Menschen, die man instinktiv richtig in einem der Sinus-Milieus verorten kann. Am einfachsten ist das vor allem bei den extremeren Milieus, die ein bisschen mehr von dem abweichen, was der Otto-Normal-Verbraucher als eben „normal“ betrachtet. Ich erinnere mich an einen Abend, da stand ich in der Schlange vom EDEKA bei mir um die Ecke und hatte ein junges Paar vor mir. Sein Bart gepflegt, ihre Haare mit einigen Dreadlocks versehen. Die Kleidung ein ästhetischer, aber durchaus individueller und vor allem herausstechender Mix aus Vintage-Second-Hand, markenbewusster Qualität und einem Hauch von Retro. Die Art von Kleidungsstil, die einen schon fast nötigt den Träger zu betrachten, aber dabei nicht in signalroten Großbuchstaben „Rebellion“ in Richtung des Mainstreams schreit.
Was kauften die beiden ein?
Auf dem Kassenband Avocados, Mate, mir unbekanntes Gemüse, mit Superfood angereichertes Müsli, Craftbier, Sojajogurt, Blaubeeren und die mir bis dato unbekannten Kakao Nibs. Das nicht zu überhörende Gespräch drehte sich dann um die örtliche Kunsthochschule und ein Filmprojekt (generell fiel der Begriff „Projekt“ erschreckend oft), Bouldern, mehr oder weniger diffuse Zukunftspläne und die Abendplanung für das Wochenende, welche sich im Kern um die essentielle Frage drehte, welchen der (elektrolastigen) Clubs man lieber besuchen wollte. Manchmal ist es doch so einfach und man hat, ohne danach zu suchen, ein paar waschechte Expeditive vor sich stehen.
Hiermit haben Sie auch schon fast die nächste Frage beantwortet. Was sollen Leser aus Ihrem Buch mitnehmen?
Ich möchte erklären, was in unseren Köpfen vor sich geht, wenn wir andere Menschen beobachten, und sie dann auf Grund ihres Erscheinungsbildes in mehr oder minder tiefe Schublanden stecken. Ein alltägliches Phänomen, das allerdings bestimmten Mechanismen folgt. Diese möchte ich begreiflich machen und am Ende dann die Frage stellen: Ist das eigentlich gut, dass wir das machen? Dürfen wir das machen? Oder sollten wir nicht wenigstens darüber reflektieren, wie wir das machen?
Was kauft die neue Rechte?
Da AFD-Wähler besorgniserregenderweise in diversen Milieus präsent sind, ist das gar nicht so pauschal zu sagen. Da gibt es wahrscheinlich ein ethnisches Framing, was in den Einkaufswagen kommt. Der norwegische Lachs ist sicherlich attraktiver als griechische Oliven. Ich kann mir zum Beispiel beim besten Willen keinen Salonfaschisten vorstellen, der pakistanisch essen geht. Ansonsten bestimmt eher hochpreisig deutsch und traditionell. Man möchte ja auch Status vermitteln, als etabliert gelten und hochklassig sein.